“Die ganzes Schöpfung soll befreit werden”
Liebe Schwestern und Brüder,
schauen Sie auch gerne Naturfilme? Mich faszinieren besonders die Filme von David Attenborough „Wunder des Lebens“, die er für die BBC produziert hat. Sie gehören für mich zu den Meisterwerken der Filmgeschichte.
Meist schalte ich den Ton aus, denn in der deutschen Version werden viele unnötige Dinge erzählt, die im englischen Original gar nicht gesagt werden und von den faszinierenden Bildern ablenken. Eine Schöpfung voller Wunder entfaltet sich da vor unseren Augen. Nicht nur der Mensch ist hier die Krone. Von den kleinsten Bakterien bis zu den erhabenen Königen der Lüfte und der wundervollen Vielfalt der Pflanzen als den ältesten Lebewesen, die unsere Erde bevölkern, rückt Attenborough jede einzelne Kreatur in einbeeindruckendes Licht und gibt ihm und ihr den Status eines Filmstars.
Die tollen Bilder des Forschers und Filmemacher drücken besser als alle Predigten und Vorträge aus, dass nicht nur der Mensch eine Würde hat, sondern jedes Lebewesen auf diesem Planeten.
Würde ist auch das Leitwort des Lohrer Advents in diesem Jahr und zwar die Würde des Lebens. Und heute möchte ich Sie, liebe Schwestern und Brüder, besonders auf die Würde der Schöpfung selbst aufmerksam machen. In unserer Pfarrei ist es seit einigen Jahren Brauch, die Adventszeit unter ein Leitwort zu stellen und jeweils durch eine Foto-Installation zu vertiefen. Heute stellen wir das Bild des Lohrer Fotografen Thomas Kohnle, das in Zusammenarbeit mit unserer PGR-Vorsitzenden Nina Pearson entstanden ist.
Dem Bild möchte ich spontan den Titel „Nachbar des Himmels“ geben, eine Bezeichnung, die Kardinal Karl Lehmann einmal für den Menschen fand.
An diesem Bild möchte ich zwei Aspekte hervorheben, zwei Bestimmungen des Menschen verdeutlichen sozusagen. Die Ausrichtung zum Himmel hin und die Verwurzelung auf Erden.
Unser Kind Elliot auf dem Foto scheint ganz vom Himmel umgeben zu sein. Wir Menschen wachsen der Ewigkeit zu – ein adventlicher Gedanke, denn wir erwarten nicht nur die Geburt
des Kindes im Stall von Bethlehem, sondern auch das Kommen des Herrn und die Vollendung der Zeit, wie es uns das Markusevangelium heute in Erinnerung ruft.
Eingehüllt in die Wirklichkeit des Himmels steht Elliot / unser Kind ganz auf der Erde. Sie scheint mit ihr verwachsen zu sein. Die Schwarz-Weiß- Darstellung lässt kaum mehr einen Unterschied erkennen zwischen den Beinen des Kindes und der abgeernteten Erde. Es ist eine Erde, die uns anvertraut ist, aber oft genug auch unter uns Menschen zu leiden hat. Gott aber hat ihr eine eigenständige Würde geschenkt, weil er sie zu seinem Festsaal macht und sie nicht zuletzt durch die Menschwerdung Jesu heiligt. Würde ist ein Wert, den alles, was lebt, aus sich selbst heraus hat. Keiner kann diese Würde zusprechen und kein Geschöpf muss sie sich verdienen. Würde ist der heilige Raum des Lebens, in dem der Mensch zur Person, die Natur zur Schöpfung und die Tiere zu Mitgeschöpfen werden.
Paulus führt im Römerbrief diesen Gedanken weiter und nimmt Leben in all seinen Formen hinein in die adventliche Hoffnung, wenn er schreibt: „Denn auch sie, die Schöpfung, soll von der Knechtschaft der Vergänglichkeit befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes.“ (Röm 8,21) Die vergängliche Schöpfung hat also Hoffnung auf Vollendung. Sie trägt gerade in ihren Verwundungen eine adventliche Gestalt.
Im Augenblick wird in unserer Gesellschaft viel diskutiert über Strategien, Gesetze und Verbote, um dem Klimawandel Einhalt zu gebieten und einen achtsamen Umgang mit der Natur verbindlich zu machen. Oft wird heftig und erbittert über die verschiedenen Maßnahmen gestritten. Seit Beginn seiner Amtszeit mahnt Papst Franziskus eine Spiritualität der Schöpfung an, auch in diesen Tagen beim Klimagipfel in Dubai. In diesem Sinn können Christen über die technischen Fragen hinaus den wichtigen Gedanken einbringen, dass die Schöpfung nicht vorläufig ist, sondern auch mit uns vollendet werden soll in der Herrlichkeit Gottes. Zu einer adventlichen Hoffnung, die das Kommen des Herrn der Zeiten erwartet, gehört auch der Respekt und die Solidarität mit den Mitgeschöpfen, die schon hier die Fülle des Lebens bei Gott ahnen lassen – wie in meinen anfangs erwähnten und gern gesehenen Naturfilmen von David Attenborough.
Liebe Schwestern und Brüder
Vielleicht ist die Zeit des Advents nicht nur gut genutzt mit Besuchen auf Weihnachtsmärkten, sondern auch mit Spaziergängen durch stille Wälder und abgeerntete Felder, die uns ahnen lassen zu welcher Herrlichkeit Gott uns und die Schöpfung führen will. Amen.
Sven Johannsen, Pfr.