Liebe Schwestern und Brüder
‚Erwachsen ist man, wenn man aufhört, Spaß zu haben. Wenn man Ziele hat statt Spaß.” Das schreibt Kerstin Decker zu Beginn des neuen Jahres in ihrem Essay in der ZEIT über die Frage, warum wir uns überhaupt Ziele setzen. Erwachsen ist man, wenn man aufhört, Spaß zu haben.
Ich möchte jetzt keine Grundsatzdiskussion beginnen, ob Erwachsene keinen Spaß haben können, aber auch in unserem Sprachgebrauch hört irgendwann der Spaß auf und der Ernst des Lebens beginnt. Wir setzen den Zeitpunkt dafür meist mit dem Beginn des Arbeitslebens an. Die Autorin nennt als Ausgangspunkt den Moment, in dem wir beginnen, Ziele zu entwickeln: Was will ich einmal erreichen? Wo sehe ich mich selbst in einer bestimmten Frist? Welche Ausbildung habe ich dann gemacht? Habe ich Familie, ein Haus, bin ich verbeamtet? Oder habe ich die Welt bereist und meinen ersten Achttausender bestiegen? Als Kind kann ich von manchem träumen als Erwachsener muss ich mir Ziele setzen. Ziele sind alles, was ein Mensch zu erreichen sucht, weil er sich es selbst vorgenommen oder aber von jemanden vorgeben bekommen hat. Sie geben uns die Richtung für das Leben und Handeln vor, bestimmen, was wichtig und was nebensächlich ist in den verschiedenen Situationen, in denen Entscheidungen gefordert sind. Sie motivieren und orientieren, aber sie bauen auch Druck auf, denn sie wollen verwirklicht werden, sonst sind sie nur kindliche Wünsche oder Träume, die wie Seifenblasen platzen. Die Zielstrebigkeit verlangt Ernsthaftigkeit und verbietet es, das Leben nur als Spaß zu sehen. Vielleicht ist das wirklich die treffende Bestimmung des Moments, in dem ein Menschen ins Erwachsensein übergeht: Die völlige Sorglosigkeit verliert sich und Ziele ziehen unsere Konzentration auf sich. Tatsächlich kann das so weit geben, dass erwachsene Menschen ihre Ziele so hoch und unerreichbar stecken, dass das Leben keinen Spaß mehr macht. Andererseits erlebt der Mensch, der Ziele hat, die erreichbar scheinen, sehr viel Freude am Leben, weil er nicht ständig in der Tretmühle von widersprechenden Alternativen und Verlockungen steckt. Der Ernst des Lebens beginnt, wenn wir Ziele entwickeln, das Leben ist dann nicht mehr nur ein großer Spaß, aber dennoch voll Lebensfreude, so stellt sich der Idealfall des Erwachsenwerdens dar.
Heute am Ende der Weihnachtszeit steht der erwachsene Jesus vor uns, kein süßes Kind in der Krippe mehr, sondern ein Mann von ungefähr dreißig Jahren, ein Mensch, der an den Jordan kommt, weil er ein Ziel im Leben erkannt hat: Das Reich Gottes verkünden und Menschen für Gott gewinnen. Das Wort des Propheten Jesaja in der heutigen Lesung umschreibt das Ziel, das ihm vom Vater gesetzt wurde. Es wirkt wie ein Wahlprogramm voller großer Versprechen. Gott wirbt auch um sein Volk, gaukelt ihm aber nichts vor, sondern beschreibt das unbeschädigte Leben in Gemeinschaft mit ihm: Jeder soll statt werden, keiner braucht mehr zu hungern oder zu dürsten, keiner muss sich mehr beschränken und mit dem Notwendigsten zufrieden geben. Gott will das Beste für uns. Gelingen kann das große Ziel Gottes für den Menschen, wenn sie sich für seinen Willen öffnen und zu einer Lebenshaltung finden, die nach Sinn fragt und Liebe übt. Die Menschen für diese heilmachende Botschaft vom Reich Gottes zu gewinnen und sie zum Guten hin zu verändern, hat Jesus als seinen Auftrag durch den Vater erkannt und zum Ziel seines Lebens gemacht. Gleich im Anschluss an die Taufe wird er sich in die Wüste zurückziehen und sich seines Zieles vergewissern.
Stellen sich zwei Fragen: Ab wann kannte Jesus sein Ziel? Und war er ein Kind, das wirklich Spaß haben konnte?
Wir erfahren wenig über das, was zwischen Bethlehem und dem Jordanstrand passiert ist. Nur einmal bricht der Evangelist Lukas das Schweigen und erzählt vom zwölfjährigen Jesus im Tempel. Über die Zeit der 30 Jahre in Nazareth breitet sich eine Wolke der Stille. Ganz sicher wurde er von Josef als Handwerker ausgebildet und in den religiösen Traditionen seines Volkes erzogen. Aber ob es eine glückliche und unbeschwerte Kindheit war, darüber hören wir kein Wort. Wir wissen auch nicht, wie oft der junge Lehrling Jesus sich mit dem Hammer auf den Finger gehauen hat. Natürlich will es frommer Glaube, dass er als Zimmermann unschlagbar war. Aber Beleg haben wir keinen. Trotzdem die Eltern wissen, dass es ein besonderes Kind ist, wird er nicht auf einen goldenen Thron gesetzt und verehrt. Er wird normal heranwachsen wie alle Kinder seines Dorfes. Dann aber dürfte er auch Spaß gehabt haben beim Spielen und Feiern in der Synagoge und zuhause. Der Lesungstext lässt die Freude des Glaubens anklingen, die in jüdischen Festen und Feiern immer wieder zum Ausdruck kommt: Sorglosigkeit und Ausgelassenheit, weil ich nicht in alltäglichen Sorgen versinken muss, sondern mich auch einmal ganz in Gottes Hände fallen und ihn machen lassen darf. Diese Unbeschwertheit prägt viele jüdische Festbräuche, wie den Tanzen mit der Tora oder die Ruhe am Sabbat. Jesus hat gelernt, nicht zwanghaft zu leben. Immer wieder ermutigt er die Menschen nicht zu kindischem Verhalten, das nur Spaß und Unterhaltung sucht, sondern zu kindlichem Vertrauen, das sich ganz in die Hände des Vaters geben kann. Es macht mutig, auch in die Tiefe zu gehen wie heute Jesus, der in den Jordan steigt, weil der Aufstieg zum Leben gewiss ist. Im Markusevangelium bekommt die Taufe im Jordan den Charakter eines inneren Geschehens, in dem Jesus seine intensive Verbundenheit mit Gott, seinem Vater, erfährt. Der Himmel ist für ihn aufgerissen, und der Geist Gottes, den der Prophet Jesaja beschreibt als Geist des Rates, der Erkenntnis, der Einsicht, der Stärke, der Weisheit, der Gottesfurcht und der Frömmigkeit, atmet jetzt aus seinem Reden und Handeln. Am Tiefpunkt spürt Jesus, dass er Gottes geliebter Sohn ist und kann so beginnen, das große Ziel seines Lebens, das Zeugnis eines neuen Miteinanders zwischen Gott und den Menschen, in die Tat umzusetzen. Wir werden ihn bald wieder treffen, wenn er durch Galiläa zieht und verkündet: „Das Reich Gottes ist nahe; kehrt um und glaubt an das Evangelium.“
Uns zieht er mit in die Tiefe einer neuen Gottesbeziehung: Der Glaube macht nicht blind, aber kann uns ruhig und heiter werden lassen in der Gewissheit unserer Würde als Gottes Kinder. Wir werden durch Texte wie den heutigen ausgebremst auf der Achterbahn von Erfolg und Leistung. Die wichtigsten Dinge im Leben können wir nicht erreichen durch unser Bemühen, sie werden uns zugesprochen und geschenkt. Um sie wertschätzen zu können, muss man in die Tiefe gehen wie Jesus heute im Evangelium. Wer es aber entdeckt, der kann sich in einer heiteren Gelassenheit geborgen wissen. Das passt gut zum Komponisten, dessen Präludium und Fuge G-Dur unser neuer Kantor heute als erstes Orgelwerk ausgesucht hat, mit dem er sich unserer Gemeinde vorstellen will: Johann Sebastian Bach. Er war sicher ein frommer Mensch, aber kein zwanghafter. Er war ein streitbarer Mensch, das haben die Vorgesetzten an seinen Wirkungsstätten immer wieder erfahren, v.a. der Rat zu Leipzig, aber er hatte ein kindlich festes Vertrauen in die Führung durch Gott, die in all seinen Werken anklingt. Bach hat geistliche und weltliche Musik komponiert, aber er hat niemals zwischen den Welt gewechselt. Ob in seinen Kantaten zu Jagd und Kaffee oder in seinen hoch-liturgischen Oratorien, immer tritt uns der Mensch entgegen, der aus dem Glauben heraus eine heitere Gelassenheit im Innern spürt. Entstanden ist die G-Dur, wie man sie nennt, in der Leipziger Zeit als Kantor an der Thomaskirche. Sie beginnt strahlend fröhlich und entwickelt schnell einen festlichen Charakter, ja sogar einen jubelnden Aufschwung. Eine fröhliche Grundstimmung durchzieht das ganze Werk, ohne überzogen oder lächerlich zu werden. Dem überschwänglichen Präludium folgt die Fuge mit einer heiter-ernsten Grundstimmung. Man könnte im Werk den Weg in die Tiefe beim Hinabsteigen Jesu in den Jordan mitgehen, erschüttert werden durch die Unruhe am Tiefpunkt, an dem sich alles klärt, um schließlich in gelassen-fröhlicher Stimmung mit ihm aufzusteigen und zu wissen, wohin die Lebensreise gehen will. Freuen wir uns darauf, diesen Weg nun musikalisch mit unserem neuen Kantor zu gehen. Amen.
Sven Johannsen, Pfr.