Liebe Schwestern und Brüder
Heidi Klum wurde letzte Woche 50 Jahre alt. Natürlich feierte sie dieses Ereignis mit einer wilden Party und vielen Fotos für die interessierten Fans von Deutschlands berühmtesten Körper.
Es fällt auf, dass mit den Jahren ihre Lebenspartner immer jünger werden und ihr Drang immer größer, sich leicht bekleidet in der Öffentlichkeit darzustellen. Heidi Klum ist seit zehn Jahren in ihrer Show „Germany next Topmodel“ die oberste Fleischbeschauerin des deutschen Trash-Fernsehens und Scharfrichterin über das Schicksal unzähliger junger Frauen, die sich schon als Traumprinzessinnen in der Glitzerwelt der Mode und des Show-Geschäfts wähnten. V.a. aber ist sie die Ikone einer modernen Gesellschaft, die den Kult um dem Körper fast schon zur Religion erhoben hat. Sie ist alles andere als das Klischee eines „blonden Dummchen“, vielmehr eine hochintelligente Beobachterin von Trends und Wünschen junger Menschen, und die Zauberin, die ihnen scheinbar die richtige Plattform zum Verwirklichen ihrer Träume bietet. „Das ist mein Körper“: durchtrainiert, diszipliniert, ideal proportioniert, immer jugendlich, ohne Makel, Dellen und Fettpölsterchen. Idealmaße und Leistungsstärke sind zu Glaubensdogmen einer Körperlehre geworden, in der alles perfekt sein muss, damit ich mich mit meinem Äußeren auffällig in Szene setzen kann. Dafür hat sich neben den Castingshows ein riesiger Markt entwickelt, der diese Wünsche bedient von Schönheitschirurgie, Kosmetik- und Stylingzubehör bis zur breit aufgestellten Fitnessbranche. Die Fitnesscenter sind zu modernen Tempeln geworden, in denen die Verheißung der ewigen Jugend immer neu verkündet wird: Mehr Muskel, mehr Beweglichkeit, weniger Gewicht, idealer Körper und so mehr Wohlbefinden. Man muss heute gleichsam die Haut zu Markte tragen, um in der Öffentlichkeit gut da zu stehen und so mit sich selbst zufrieden zu sein: attraktiv, jugendlich und begehrenswert.
Ich will jetzt nicht in Bausch und Bogen lächerlich machen und verurteilen, was Menschen Gutes für ihre Gesundheit tun. Es gilt die alte Einsicht des römischen Dichters Juvenal: „mens sana in corpore sano“. In vielen Fitnessstudios werden gute Angebote entwickelt, um Menschen Fitness und Leistungsfähigkeit zu erhalten. Gerade an den werktäglichen Vormittagen gehört der Sport der Rentnergeneration. Radfahren, Wandern, Walking, Gymnastik, Yoga, aber auch Fußpflege, Massagen u.v.m. helfen Menschen, die die zunehmende Gebrechlichkeit des Körpers spüren und an Schmerzen leiden. Aber darüber kann man nicht übersehen, dass ein „Körperkult“ wächst, geprägt vom Wunsch nach Perfektion und Attraktion, der auch in der Öffentlichkeit immer kritischer gesehen wird. Vor wenigen Tagen fand in Hamburg der sog. Iron-Man statt. Unabhängig vom Unglücksfall am Rand der Strecke hat die Wochenzeitung „DIE ZEIT“ schon im Vorfeld diesen Sport als „kapitalistisches Grundprinzip“ bezeichnet mit dem Ziel: „Immer mehr rausholen – selbst dort, wo eigentlich nichts mehr rauszuholen ist.“ Die Autoren sehen den Boom der Sportart kritisch und hinterfragen die Motive hinter dem „Geschäft mit der Selbstquälerei.“ (https://www.zeit.de/2023/23/triathlon-ironman-leistungssport-hobby-geld)
Zwischen sinnvoller Gesundheitsvorsorge und ins Extreme gesteigerte Selbstoptimierung bewegt sich im Augenblick die Sorge um einen gesunden Leib oder eben der fanatisierte Drang, seinen Körper zum perfekten Aushängeschild des eigenen Ichs zu machen.
„Das ist mein Leib“ – diese Worte bilden den Mittelpunkt unserer Eucharistiefeier und damit das Zentrum unseres christlichen Glaubens. Diesen Leib Jesu tragen wir heute nicht wie die Haut zu Markte, sondern durch die Straßen unserer Stadt. Von außen sichtbar als Hostie, Brot mit einer Bruchlinie, für uns Jesus selbst mit seiner ganzen Person. Ein Leib steht in der Mitte, nicht ein gestählter Body, eine atemberaubende Silhouette oder ein glänzendes Muskelpaket, sondern ein Leib, der zerbrochen und geteilt wird. Der Leib Christi, daran erinnert uns Paulus im Korintherbrief, steht nicht für Jugendwahn, Leistungsstress und Härte, sondern für Selbsthingabe und Einsatz für andere. Es ist der Leib Jesu, der sich verbrauchen lässt für andere und am Kreuz geschunden, verletzt und zerbrochen wird. Der Leib, den wir heute durch die Straßen tragen, taugt nicht als Werbeprospekt für Schönheit und Stärke, die man zum persönlichen Lebenszweck erhoben hat, sondern verweist auf eine andere Sicht meines Daseins als Leben für die Anderen. Der Körper, der gestylt wird, und der Leib, der sich verschenkt, stehen sich heute als zwei Lebensentwürfe gegenüber. Ohne Zweifel ist unsere körperliche Existenz ein Geschenk Gottes, für das wir Verantwortung tragen und um das wir uns sorgen müssen. Paulus erinnert uns daran, dass unser Körper der Tempel Gottes und somit heilig ist. Aber der Leib Christi, den wir heute verehren, erinnert uns daran, dass unsere letzte Bestimmung und unser letztes Glück nicht in Äußerlichkeiten, Jugendlichkeit und Gesundheit bestehen kann, sondern dass wir uns verschwenden dürfen in großzügigem Selbsteinsatz und vorbehaltloser Hingabe. Der Priester und Publizist Gotthard Fuchs spricht mit Blick auf die Verehrung des Leibes Christi am heutigen Hochfest von der Befreiung von Selbstoptimierung und von jeglichem Leistungsdruck (CiG 25/2019) und schreibt: „Da lädt einer ein, der ganz bei sich ist und innigst mit Gott verbunden. So hat er den Rücken frei und braucht nicht mehr unter der ständigen Fuchtel zu leben, ob er gut und schön genug ist. Sein Leib, sein Leben und sogar sein Sterben wird zur Lebensquelle für andere. Es ist der Gestus jener Liebe, in der Menschen zueinander sagen: „Das ist mein Leib für dich“. (ebd.) Der Blick auf den Leib Christi, auf die fleischgewordene Hingabe Gottes, befreit zu einer neuen Sicht der eigenen leiblichen Existenz in der Welt. Unser Glaube ist nicht leibfeindlich, aber kritisch gegenübereinem überzogenen Körperkult.
In ihrem Mitte der 90ger Jahre verfassten autobiographischen Buch „The disabled God“ (Leider erst vor einigen Jahren in der deutschen Übersetzung „Der behinderte Gott“ erschienen) erzählt die evangelikal-lutherische Pfarrerin und Religionssoziologin Nancy Eiesland, was sie durch ihre Behinderung über Gott erfahren hat. Nancy Eiesland (1962–2009) wurde mit einer unheilbaren Knochenkrankheit geboren und war schließlich ganz an den Rollstuhl gebunden. Sie stellt sich ihrem Lebensschicksal der Behinderung und wird, im Geist pfingstlerischen Christentums geprägt, schließlich evangelikal-lutherische Pfarrerin und Professorin für Religionssoziologie. Das Fazit ihres Wirkens lautet: „Es ist meine Behinderung, die mich gelehrt hat, wer ich bin und wer Gott ist.“ Ihr Grundgedanke lässt sich verstehen als Abkehr von einer Theologie des Mitleids gegenüber behinderten Menschen hin zu einem neuen Verständnis, dass Gott gerade im behinderte Menschen selbst das wahres Menschsein annimmt. Sie will nicht nur vom Glauben eine Zusage, dass sie auch als Mensch sein darf, der eingeschränkt ist in seiner Mobilität und seinen Möglichkeiten, selbständig zu leben. Ihr Blick richtet sich nicht nur auf den verwundeten Christus, sondern auf den behinderten Christus, der sie befreit von einer Glaubenslehre, in der Menschen mit Beeinträchtigung v.a. Zielobjekte von Mitleid anderer Christen sind. Das letzte Kapitel ihres Buches widmet sie der Eucharistie bzw. dem Abendmahl und schreibt: „Ich erkannte den inkarnierten Christus im Bild jener, die als ‚nicht tragfähig‘, als ‚arbeitsunfähig‘, als ‚mit fragwürdiger Lebensqualität‘ behaftet beurteilt werden. Hier war Gott für mich.“ Gerade im gebrochenen Brot und im vergossenen Wein wird also das Geheimnis dessen zugänglich, der uns in den Brüchen des eingeschränkten Lebens als der lebendige Gott begegnet und heilend präsent ist.
Natürlich wirkt ihr Buch manchmal trotzig gegenüber zu viel Mitleid der „normalen“ Menschen, aber ihre Lebenszuversicht und Glaubensstärke öffnet auch eine neue Sicht auf die Eucharistie: Der Leib Christi wird hingegeben und gebrochen. Er steht nicht für die stahlharten Kämpfer, die sich nicht umwerfen lassen, sondern für die Menschen, die sich selbst als unvollkommen und zerbrechlich erfahren, weil die Mühen des Lebens, Erschöpfung, aber auch Schuld und die Stürme des Ankämpfens gegen Schwierigkeiten sie gebeugt und ihr Leben höchst fragil gemacht haben. Fronleichnam ist nichts für „starke Typen“ und schon gar nicht eine Castingshow für Traumprinzessinnen. Heute geht auf die Straße, wer im gebrochenen Leib Christi das Brot des Leben erkennt, das unsere eigene Bruchstückhaftigkeit heilen und uns befreien kann aus der Angst vor dem Druck, dass wir ständig etwas aus uns machen müssen und dann nicht vor dem Urteil der anderen bestehen können, die uns verdammen, weil wir nicht schön genug, nicht gut genug, nicht stark genug und einfach nicht perfekt sind. Vielmehr stellt sich, mit einem Wort von Eiesland, das Evangelium, der Leib Christi den „unheilbaren Gesunden“ in den Weg und befreit uns von einem Verständnis von Menschsein, das sich immer noch einseitig bloß über Gesundheit, Fitness und Fortschritt definiert. Heute huldigen wir keinem Körperfetisch, sondern verehren den Leib des auferstandenen Herrn, der seine Wunden nicht verleugnet und so unsere Lebenswundern heilen kann. Amen. (Sven Johannsen, Lohr)