Zum römischen Schreiben „fiducia supplicans“
„Ein Meilenstein und die bedeutendste Veränderung in der Theologie seit dem II. Vatikanischen Konzil“ – Eigentlich nichts Neues“ – „Jetzt hat Rom den Glauben endgültig verraten. Das ist reine Häresie“
Die Bandbreite der Reaktionen auf das kurz vor Weihnachten vom Dikasterium für die Glaubenslehre veröffentliche Dokument „fiducia supplicans – über die pastorale Sinngebung von Segnungen“ hat alle denkbaren Reaktionen hervorgerufen: Begeisterte Zustimmung, unbewegte Kenntnisnahme, wutschnaubende Kritik. Mit ausdrücklicher Zustimmung des Papstes legte – für die meisten Zeitgenossen sehr überraschend – die oberste Glaubensbehörde der katholischen Kirche ein Schreiben vor, in dem der Vatikan zum ersten Mal erlaubt, dass Geistliche oder andere kirchliche Amtsträger Paare segnen, die sich „in irregulären Beziehungen befinden“, z.B. wiederverheiratet geschiedene oder gleichgeschlechtliche Paare. Das Wort „irregulär“ hat deutliches Befremden ausgelöst, weil es abwertend klingt. M.E. hat versuchten die Verfasser eine möglichst neutrale Formulierung zu finden. Dafür ist man dann das Risiko eingegangen, gefühllos zu wirken. Vielleicht sollten wir lieber wie Bischof Stefan Oster von Passau die Wendung „Paare außerhalb einer Ehe von Mann und Frau“ verwenden, die zwar nicht empathischer klingt, aber doch frei von Wertungen ist. Das römische Schreiben ist für viele Leser der Versuch der Quadratur des Kreises bzw. eines Spagats im Dilemma zwischen „unerlaubt und doch notwendig“. Das erklärt auch, dass der Text gefüllt ist mit Wiederholungen und Formulierungen, die nicht immer präzise wirken. Man kann jetzt Rom vorwerfen, dass es sich selbst mit den Äußerungen über die Jahrzehnte in diesen Schlamassel gebracht hat, oder aber den Versuch würdigen, den gordischen Knoten zu zerschlagen. Tatsächlich wird eigentlich nichts Revolutionäres verkündet, aber weil das, was geschrieben wurde, von der Glaubensbehörde mit Zustimmung des Papstes kommt, lässt es doch aufhorchen. Wahrscheinlich war es den Verantwortlichen klar, dass sie sich zwischen alle Stühle setzen, aber von Papst Franziskus wissen wir, dass er sich dort am wohlsten fühlt.
In den letzten Jahren hat sich Rom immer wieder mit der Möglichkeit der Segnung von gleichgeschlechtlichen Paaren beschäftigen müssen. Ganz sicher war auch der Vorstoß des synodalen Weges in Deutschland ein drängender Anstoß zur Reaktion, aber nicht der einzige. Bereits 2021 hat die damalige Glaubenskongregation auf die kritische Anfrage von fünf Kardinälen an Papst Franziskus zu diesem Thema geantwortet, dass die Lehre der Kirche im Blick auf Ehe und Sexualmoral unveränderlich ist und die Kirche keine Vollmacht hat, Partnerschaften von gleich-geschlechtlichen Partnern zu segnen. Bischof Oster berichtet davon, dass die Frage nach dem richtigen Umgang mit dem Wunsch nach einem Segen in dieser Situation für die Teilnehmer auf der Weltsynode im Oktober in Rom zu den heißen Eisen gehörte. Die Stimmen der Weltkirche waren sehr unterschiedlich. Es standen also nicht die Deutschen gegen den Rest der Welt, wie manche einseitige Berichterstattung es gerne darstellt. Es gilt im Umgang mit dem Thema auch die unterschiedlichen kulturellen Hintergründe in den verschiedenen Kontinenten und Ländern zu beachten, die die gesellschaftliche Debatte prägen und so auch Einfluss auf die Positionierung der jeweiligen Kirche vor Ort haben. Da unterscheiden sich z.B. afrikanische Nationen stark von westeuropäischen Ländern.
Erst von wenigen Wochen hat der zweite Mann des Vatikans, Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin in einem Brief an die Bischöfe Deutschlands klargestellt, dass die Lehre über Ehe und die Beziehung zwischen Mann und Frau zu den unveränderlichen Bestandteilen der Lehre der katholischen Kirche gehören. Verbunden war dieser Brief mit einer Erklärung des Dikasteriums für Glaubenslehre, die diese beständige Lehre der Kirche näher auslegte. Jetzt stammt aus der gleichen Feder die Erklärung „fiducia supplicans“, die die Segnung von gleichgeschlechtlichen Paaren erlaubt. Widerspricht sich Rom innerhalb von wenigen Wochen? Hat man im Wüstensand Israels eine bisher unbekannte Bibelüberlieferung gefunden, die die Lehre auf den Kopf stellt? Für viele Katholiken, egal ob für oder gegen den Vorstoß aus Rom, stellt sich zur Zeit die Frage: „Wie kann es sein, dass das, was immer gegolten hat, jetzt offensichtlich nicht mehr gilt?“ Der Verdacht, dass man die Lehre dem Zeitgeist unterwirft, legt sich natürlich nahe. Dazu trägt auch der umständliche und uneindeutige Stil des Schreibens bei. Beim Lesen des Textes wird aber deutlich, dass es nicht zentrale Lehren ausgehebelt werden sollen. Ich schließe mich Bischof Oster an, der die Botschaft des römischen Schreibens auf den Nenner bringt: „Nicht die Lehre vom Menschen verändert sich, sondern die vom Segen.“ (https://stefan-oster.de/segen-vatican-oster/)
Segnungen gehören für die Kirche zum Bereich der sog. Sakramentalien, die zwar keine Sakramente darstellen, aber sie oft nachahmen. Bisher betonte die Kirchenleitung die Gefahr, dass bei einer Segnung scheinbar auch eine Partnerschaft gutgeheißen wird, die nicht dem „Willen des Schöpfers entspricht.“ Rom verbot Segensfeiern, weil sie in ihrer Gestaltung den Anschein erwecken, dass hier ein Trausegen gespendet wird. Der Segen blieb reserviert für Partnerschaften, die den moralischen und rechtlichen Vorstellungen der Kirche entsprachen. Der Ausschluss anderer Partnerschaften sollte auch die nötige Klarheit in der Lehre garantieren. Jetzt hat der oberstes Glaubenshüter der Kirche die Blickrichtung verändert. Im Sinne der pastoralen Ausrichtung der Lehre, die Papst Franziskus fordert, betont das aktuelle Schreiben, dass Segnungen einen „inklusiven Charakter“ haben. „Sie sind an alle gerichtet, niemand darf ausgeschlossen werden“( FS 28). Es geht nicht um eine neue Lehre über Ehe und Partnerschaft, sondern um eine Weiterentwicklung des Verständnis, was Segen ist und welche Voraussetzungen Menschen erbringen müssen, um ihn zu erlangen.
Deutlich werden dabei „liturgische“ und „außerliturgische“ Segnungen unterschieden. Im Blick auf z.B. wiederverheiratet geschiedene oder gleichgeschlechtliche Paare formuliert das Schreiben deshalb Voraussetzungen: Es soll vermieden werden, dass die Segnung mit der sakramentalen Ehe verwechselt werden könnte; sie darf nicht im liturgischen Kontext oder in Verbindung mit einer standesamtlichen Trauung stattfinden.
Klingt zunächst nicht nach dem großen Wurf. Auf den Punkt gebracht heißt das, dass Segensfeiern mit einem verfassten Ritual weiterhin nicht erlaubt sind, ein schwerer Schlag für die Verlage, die schon an entsprechenden Werkbüchern schustern.
Wo zeigt sich dann das Neue? Letztlich belegen die Überlegungen: Die Kirche hat offensichtlich doch die Vollmacht, gleichgeschlechtliche Verbindungen zu segnen.
Segnungen setzen das Verständnis voraus, dass Gott in allen Ereignissen des Lebens erfasst werden kann und dass der Mensch der heilbringenden Gegenwart Gottes in der Geschichte und in seinem Leben bedarf. Für Papst Franziskus ist die Bitte um Segen in jedem Fall wertzuschätzen, zu begleiten und mit Dankbarkeit durch die Kirche aufzunehmen. Die Bitte nach Segen drückt das Vertrauen des Herzens aus, das nicht auf die eigene Kraft setzt, so der Papst. In diesem Segen wird das Herz zu Gott erhoben, dem der Mensch Lobpreis und Dankbarkeit darbringt, und um seinen Zuspruch bittet in den verschiedenen Lebenslagen. Diesem Wunsch nach Segen zu entsprechen, ist nicht Risiko oder Problem, sondern eine seelsorgliche Ressource, die es zu nutzen gilt. Sie darf niemanden verwehrt werden und bedarf keiner Vorbedingung. Deutlich warnt das Schreiben vor einem Elitebewusstsein innerhalb der Kirche, das andere Menschen, die die manchmal hohen Anforderungen der Lehre nicht erfüllen, ausschließt. Für Papst Franziskus ist es wichtig, zu „vermeiden, Richter zu sein, die nur verneinen, ablehnen und ausgrenzen.“ Deshalb hatte er schon früher die Forderung erhoben nach einer „Art von Segen, der allen gespendet werden kann, ohne etwas zu verlangen.“ Dieser Segen ist spontan, geschieht aus der Begegnung heraus und braucht keine gottesdienstliche Form.
Sicher ist damit nicht so viel erreicht, wie manche Katholiken erhoffen, aber es ist auch nicht die Lehre beschädigt worden, wie andere unken. Es ist eine wirkliche Weiterentwicklung im Auftrag, die bedingungslose Liebe Gottes erfahrbar zu machen und den Menschen zu helfen, sich immer neu in allen Situationen des Lebens für Gott zu öffnen. Es ist auch für übereifrige Seelsorger eine deutliche Bremse gegen die Versuchung, in ein übertriebenes Kontrollverhalten gegenüber Menschen zu verfallen.
Ganz sicher ist damit die Diskussion nicht beendet. Einigen geht diese Möglichkeit zu weit, andere sind enttäuscht, weil sich nicht wirklich etwas verändert.
Ersteren darf man manchmal ein wenig mehr Entspannung wünschen bei ihrer akribischen Suche nach päpstlichen Häresien. Da gilt das Wort eines klugen Rabbiners: „Man solle nicht immer den Teufel an die Wand malen, sonst muss man sich nicht wundern, wenn er los ist.“ Wer ständig dem anderen vorwirft, Verwirrung zu stiften, muss sich nicht wundern, dass er selbst dem Verwirrer schlechthin den Weg bereitet, weil es ihm nicht um den Glauben, sondern um Rechthaben geht. Der zweiten Gruppe mag man entgegenhalten, dass es sich wirklich um eine Entwicklung handelt, auch wenn in der Praxis nur wenig davon sichtbar werden wird, denn es geht nicht um das Erlauben von Shows, in denen manche Seelsorger sich auch als besonders modern präsentieren möchten, sondern um eine zutiefst persönliche Begegnung abseits der Öffentlichkeit.
In jedem Fall gilt nach dem neuesten Schreiben jetzt die Maßgabe: „Niemand kann nun mehr mit Berufung auf Rom Paaren in sog. „irregulären“ Situationen den Segen verweigern. Dieser Schritt darf nicht unterschätzt werden.“ (Jochen Sautermeister in CiG 1/2024)
Jeder, der bittet, ist Addressat der Zuwendung Gottes und steht so unter seinem Segen und wenn er mit der Kirche den Wunsch nach Segen erbittet, dann zeigt er auch, dass er in seinem Leben immer den Bedarf nach dem Wirken Gottes wahrnimmt. Das sollte uns mehr freuen als uns die Sorge nach moralischer Richtigkeit Angst machen kann. Amen.
Sven Johannsen, Pfarrer