Predigt Bulldog-Segnung Halsbach – 19.Sonntag im Jk
(Evangelium: Der Schatz im Acker Mt 13,43f)
„Wenn du es eilig hast, gehe langsam: Wenn du es noch eiliger hast, mache einen Umweg.“ (L. Seiwert)
Liebe Schwestern und Brüder
„Mein Maserati fährt 210 / Schwupp, die Polizei hat’s nicht geseh’n /
Das macht Spaß / Ich geb Gas, ich geb Gas“
Mit diesem Refrain stürmte 1982 der Sänger Markus (Mörl) in Rekordtempo die deutsche Hitparade. Wochenlang war er uneinholbar der Spitzenreiter in den Charts und Prophet eines neuen Lebensgefühls: „Das macht Spaß; ich geb Gas.“
Leben auf der Überholspur: die große Sehnsucht vieler Menschen. Selbst die Polizei wirbt heute mit der Verlockung: „Deine Karriere auf der Überholspur.“ Nur wer vorne ist, an den anderen vorbeizieht, oben auf ist, der hat auch etwas vom Leben und kann es genießen. Für viele Menschen ist das der Traum vom Leben: nichts verpassen, alles mitnehmen, das Leben voll auskosten und Spaß haben. Gerade in Zeiten, in denen die äußeren Umstände durch Kriege, Krisen, Umweltbedrohung, Klimawandel und wirtschaftliche Schwierigkeiten Ängste und beklemmende Gefühle wecken, wird der Wunsch nach ungetrübten und grenzenlosen Spaß größer. Es wundert daher nicht, dass der Slogan „Das macht Spaß; ich geb’ Gas“ auch in unseren Tagen wieder topaktuell ist. Wir sehen SUVs über unsere Straßen rauschen, bei denen der Kraftstoffverbrauch völlig egal ist. Das einzige was Sorgen macht ist der nahe Bordstein. Deswegen nutzen viele Halter dieser Zivilpanzern den Mittelstreifen auf der Straße als Peillinie. „Ich will Spaß; ich geb Gas.“ – Der Rausch der Geschwindigkeit, der einen das Elend der Fußgänger nicht mehr wahrnehmen lässt, birgt für viele Menschen das Gefühl von Freiheit.
Ich bin mir sehr sicher, dass ich hier nur auf wenig Verständnis treffen mit der Werbung für eine solche Einstellung. Keine Frage: Hier stehen auch Tausende von PS auf dem Feld, aber eben verteilt auf unzählige Kraftprotze. Keiner von ihnen bringt 210 km/h als Spitzenleistung.
Vielleicht entspricht Ihr Lebensideal eher dem Vorbild von Leonhard Speer, besser bekannt als der Lanz-Leo, der 2016 verstorben ist. Der Lanz-Leo ist so etwas wie der Held aller Schlepper-Fahrer und Patron der Bulldog-Treffen. Niederbayer durch und durch wird er 2006 zum Fernsehstar durch eine fast dreistündige Reportage des BR, die ihm Kultstatus verleiht und zur Legende macht. Seiner Heimat ist der Liebhaber von Lanz-Bulldogs treu. Er braucht die „Ferne“ nicht. Doch dann erhält er eine Einladung zu einem Festival historischer Landmaschinen nach San Biagio in der Poebene. Mit seiner ehemaligen Lebensgefährtin Traudl bricht er auf einem 45er Lanz Bulldog Baujahr 1937 vom Gut des Grafen Stauffenberg zum Landmaschinen-Oldtimer-Festival nach Italien auf, die einzige Reise der beiden bis heute neben einer Hochzeitsreise nach Mannheim ins ehemalige Bulldog-Werk der Firma Lanz. Der Film ist ein wunderbares Roadmovie der besonderen Art. Neun Tage brauchen Leo und sein siebzig Jahre alter Lanz, um über den Großglockner-Pass an die Adria zu kommen. Drängler auf der Straße, die es furchtbar eilig haben, bekommen die Sprachgewalt seiner niederbayrischen Schimpfworte ab, mit Bikern fachsimpelt er über Motoren und als er zum ersten Mal in seinem Leben auf italienischen Boden steht, trinkt er einen Espresso, den er mit den knappen Worten kommentiert: „Gut ist der Kaffee, aber wenig, arg wenig.”
Und dann sehen Leo und Traudl zum allerersten Mal das Meer – ein Moment, der zu den bewegendsten Augenblicken des Films und für Traudl nicht nur der Höhepunkt der Reise, sondern ein Höhepunkt ihres Lebens wird. Nach einem Abstecher in die Lagunenstadt Venedig erreicht Leo nach gut vierzehn Tagen den Zielort Argenta bei Ferrara. Rausgeputzt in niederbayerischer Tracht werden die letzten Kilometer zu einem wahren Triumphzug: „Alte Traktoren standen Spalier. Leo, Traudl und der Lanz waren die Attraktion des Abends. Mit dem Lanz-Bulldog mit seiner Traudl bis nach Italien, das war schon was ganz Großes für den Leo, trotz aller Strapazen.“ (https://www.br.de/br-fernsehen/sendungen/unser-land/menschen-und-handwerk/lanz-leo-nachruf100.html)
Ganz nüchtern gesehen, ist das keine große Sache. Ich unterstelle mal, dass die meisten von Ihnen schon in Italien waren. Ich war in diesem Jahr schon dreimal in Rom und Sizilien. Am Freitag bin ich gerade von einer Tour mit den Ministranten aus der ewigen Stadt zurückgekehrt. Wahrscheinlich wird mancher von viel ferneren und abenteuerlichen Reisezielen berichten können. Dennoch ist die Tour des Lanz-Leos auf seinem Lanz-Bulldog eine Geschichte, die mehr fasziniert als alle Safari, Weltreisen und Wüstentouren, die wir in Reisebüros buchen können. Ich schaue den Film heute noch gerne. Was mich bewegt, ist die Lebensart und die Fähigkeit, staunen zu können über das, was uns oft so bekannt und wenig bedeutend erscheint. Er sitzt auf seinem Bulldog und fährt zwei Tage bis nach Salzburg, eine Strecke, von der mancher sich hier rühmt, dass er keine fünf Stunden dafür braucht.
Ich glaube, dass da ein Lebensgefühl aufscheint, das viel auch mit dem Lanz-Bulldog zu tun hat. M.W. konnte das Flaggschiff der Lanz-Bulldog mit 55 PS beeindrucken, aber viel schneller als 30 Stunden-kilometer war er aber nie. Das Glück des Lebens ist kein Maserati, der 210 km/h fährt, sondern ein Traktor, den viele Autofahrer als Hindernis sehen. Um mit ihm ans Ziel zu kommen, braucht es Zeit und Geduld. Es nützt nicht viel, das Gaspedal durchzutreten und sich Wettrennen zu liefern. Langsamkeit, die einlädt rechts und links zu schauen, sind hier gefordert.
So sehr das Leben auf der Überholspur für einige Menschen zum Lebensmotto wird, so mächtig rührt sich heute auch der Wunsch nach einer neuen Entdeckung der Langsamkeit in vielen Menschen. In einer Welt, in der alles sofort und schnell gehen muss, in der ich aufpassen muss, nicht den richtigen Zeitpunkt zu verpassen, damit ich nicht „out“ und „überholt“ bin, wird der Traum größer, dass Zeit entschleunigt werden kann und ich so nichts übersehen und offen werde für neue Eindrücke.
Letztlich ist das die Lebenshaltung des glaubenden Menschen. Das Evangelium erzählt von zwei Menschen mit offenen Augen und wachem Herzen. Sie sind keine Ellbogen-Menschen, die sich durchboxen und immer die Nase vorne haben. Menschen auf der Überholspur wollen alles, und das sofort. Sie setzen viel ein. Dabei vergessen sie jedoch das Wichtigste. Das ist bei den Menschen im Evangelium anders.
Der Erste entdeckt wohl eher zufällig diesen Schatz im Acker, der andere reist durch die Welt und sucht gezielt nach wertvollen Perlen. Beide leben verbindet aber die Offenheit, etwas für sie Wesentliches zu finden. Weil sie in dieser Erwartung leben, entgeht ihnen die Entdeckung auch nicht. Beide haben den Mut, sich für diese Entdeckung zu entscheiden und alles wegzugeben, was sie hindern könnte, dieses Wesentliche zu ergreifen. Das, was zum Wesen führt, ist offensichtlich gar nicht so offensichtlich. Es kann verstellt sein durch Anderes, das ich auch für wichtig halte oder das mir in diesem Sinne empfohlen, vielleicht sogar aufgedrängt wird. Die Frage »Was ist für mich wesentlich?« kann der Auslöser werden für einen Prozess, der sich wie ein großes Aufräumen und Ausmisten von Überflüssigem gestaltet – ein Prozess, den wir mitunter ersehnen, der Klarheit und Erleichterung schenken kann. Dabei ist das, was beide entdecken, völlig unterschiedlich. Es gibt nicht das Wesentliche, aber sehr wohl »mein Wesentliches«, das meinem Leben Erfüllung, Sinn und Orientierung gibt.
Der Schatz im Acker und die kostbare Perle sind für Jesus Bilder für das Himmelreich. Beide spiegeln in ihrem materiellen Wert den hohen Wert des Reiches, für das Jesus mit seinem Leben steht und für das er auch sein Scheitern in den Augen der Welt akzeptiert. »Himmel« ist nicht unbedingt das Erfolgsrezept eines glücklichen, gelingenden Lebens. Himmel eröffnet mitten in allen Facetten des Lebens einen Sinn, eine Richtung, einen Halt, weil es das Angebot einer Beziehung ist, die über mich und mein Leben hinausgeht. »Himmelreich« ist das Miteinander mit dem, der mein Leben in seinen Händen hält, gerade auch dann, wenn ich mich haltlos und schwach erlebe. Der Weg Jesu zeichnet diesen Weg für jeden und jede von uns vor.
Eine Lebenshaltung „Das macht Spaß; ich geb’ Gas“ wird uns wohl nie diesen Schatz des Wesentlichen im Leben finden lassen. Das Evangelium wirbt für eine andere Einstellung, die Lothar Seiwert, Autor und seit über 30 Jahren Europas führender Experte für Zeit- und Lebensmanagement, in den klugen Rat fasst: „Wenn du es eilig hast, gehe langsam; wenn du es noch eiliger hast, mache einen Umweg.“
Wir können unser Leben verstehen als eine Sammlung von zufälligen Ereignissen und Begegnungen. Dann sollten wir möglichst viele davon machen und nicht groß darüber nachdenken, sondern Spaß haben, wann immer sich die Gelegenheit bietet. Oder aber wir können es wahrnehmen als eine große Schatzsuche, auf die uns Gott geschickt hat. Dann sollten wir langsam gehen, das, was wir sehen und erleben, bedenken, hinschauen und uns auf die Suche machen nach dem, was wirklich zählt. Um es zu finden, ist der langsame Lanz-Bulldog die bessere Hilfe im Vergleich zum Maserati, der 210 km/h fährt. Wahrscheinlich erlebt man auf ihm mindestens genauso viel Spaß und Freude am Leben, wenn nicht sogar mehr. Unsere Lebenszeit ist knapp und wir haben es eilig. Gerade darum tun wir gut daran, langsam zu gehen. Amen. Sven Johannsen, Pfarrer