Liebe Schwestern und Brüder
“Man braucht nur in die kirchlichen Schneidereien in Rom zu gehen, um den Skandal der jungen Priester zu sehen, die Soutanen und Hüte oder spitzenbesetzte Roben anprobieren”, kritisierte Papst Franziskus vor einigen Tagen bei einer Ansprache an die Teilnehmer der Weltbischofssynode. Ich war tatsächlich vor einigen Wochen mit den Ministranten in Rom und stand sogar vor einem solchen Laden, aber die Schlange an Priestern, von denen Papst Franziskus lamentiert, habe ich nicht gesehen.
Ich will natürlich nicht in Abrede stellen, dass Papst Franziskus bessere Einblicke in die klerikalen Modeläden seiner Bischofsstadt hat als ich, aber als besondere Skandal habe ich bisher priesterliche Kleiderpuppen nicht gesehen, eher als Belustigung und Ziel von Spott und Häme, aber ich bin ja kein großer Experte in Priesterhemden und Soutanen. Das Zeug hängt im Schrank und wird angezogen, wenn es gebraucht wird. Aber für Papst Franziskus ist die Kritik an der Liebe zu Äußerlichkeiten, die er bei jungen Priestern schon fast chronisch feststellen will, ein Lieblingsthema seiner Reden geworden. Immer wieder mahnt er, durchaus zu Recht, dass Selbstverliebtheit und Überheblichkeit viele Geistliche, aber auch nichtgeweihte MitarbeiterInnen der Kirche verseuchen, so dass sie selbstgefällig und herablassend „in ihrem Dienst zu weit gehen“ und das „Volk Gottes misshandeln“. (https://www.katholisch.de/artikel/48089-papst-zu-klerikalismus-man-muss-nur-in-roemische-schneidereien-schauen)
Das Evangelium gibt Papst Franziskus sicher Recht mit seiner Wachsamkeit gegen alle Tendenz der Selbsterhöhung. Die Kritik Jesu an den Pharisäern und religiösen Führern seines Volkes ist erneut harsch. Er unterstellt ihnen Heuchelei und Missachtung der Würde der Glaubenden, denen sie Lasten auf die Schultern legen, die sie selbst nicht tragen wollen. Aber über diese Generalabrechnung hinaus, gesteht Jesus ihnen doch Autorität zu. Sie sitzen auf dem Stuhl des Mose. Im Judentum gibt es keine Lehrautorität wie die des Papstes. Es gibt zwar Oberrabbiner und Gesetzeslehrer, die durchaus bestimmen, was den Geboten und Pflichten eines frommen Juden entspricht, aber Dogmen und allgemeine Gesetze können sie nicht erlassen. Die Schriftgelehrten und Pharisäer stehen in der Tradition des Moses. Sie sind die im Judentum anerkannten Autoritäten zur Auslegung der Heiligen Schrift, der Tora. Eine solche Auslegung ist notwendig, um das Gesetz lebendig und lebbar zu halten. Entscheidend für die Auslegung ist der Sinn der Tora. Wenn also die Schriftgelehrten auf dem »Stuhl des Moses« sitzen, sind sie mit ihrer Auslegung dieser Tradition verpflichtet. Ihre Lehre hat daher das Ziel, als zeitgerechte Auslegung des Gesetzes mitzuhelfen, das Leben im Sinne Gottes zu gestalten.
Da trifft das Evangelium den Anspruch von kirchlicher Verkündigung und natürlich damit verbunden auch die Versuchung, die Papst Franziskus kritisiert. VerkündigerInnen haben den Auftrag, die Frohe Botschaft für die Menschen in die jeweilige Zeit zu übersetzen, können dabei aber in die Gefahr geraten, der Sehnsucht nach Macht und der Verblendung im Blick auf ihre eigene Bedeutung zu erliegen.
Ich will nicht verhehlen, dass ich auch manchmal amüsiert bin über Mitbrüder, die sehr viel Wert legen auf Titel, violette Knöpfe und Kleidung, die an Don Camillo-Filme erinnern, aber im Augenblick sehe ich diese Art von Klerikalismus nicht als die größte Gefahr für die Kirche. Sie schaden eher durch das Image von Weltfremdheit, das sie auf manchen Zeitgenossen ausstrahlen könne, aber nicht zwangsläufig müsse. Eher problematisch sehe ich, dass Priester, die meinen, dass „alle Macht von ihnen ausgeht“, zu Wandertrophäen werden, die von einer Gemeinde zur nächsten gereicht werden. Meiner Wahrnehmung nach gehören zu dieser Gruppe aber eher weniger die „traditionellen“ Priestertypen als viel mehr geistliche Herren, die viel von Demokratie, Reform und allgemeinem Priestertum reden, aber in der Realität keinen Widerspruch dulden, Trauernden das Requiem, Gemeinden die Messfeiern und andere wesentlich Elemente des Gemeindelebens wegnehmen, ihnen unsinnigen Regelungen aufzwingen und noch belehren, dass sie besser wissen, was richtig ist, als alle anderen, denn sie haben ja studiert. Die klerikalen Speerspitzen kommen heute nicht in Soutane daher, sondern als Abklatsch von Managerallüren mit Notebook und vielen Pastoralplänen. M.E. misshandeln solche Mitbrüder ihre Gemeinden weit mehr als mancher Klerusvertreter, der aus einem Ludwig-Thoma-Roman entsprungen sein könnte.
Pfarrer sind nicht perfekt, das wird uns immer mehr bewusst. Sie sind auch trotz Weihe schwach, fehlerhaft und in einigen Fällen sogar eine Gefahr für andere Menschen. Es ist gut, dass diese Erkenntnis sich immer weiter verbreitet und somit auch Pfarrer mehr in Verantwortung stehen für ihr Reden und Handeln. Verschweigen und Vertuschen wird so immer schwerer. Aber Priester können auch nicht unter dem Generalverdacht stehen, aus einem Minderwertigkeitsgefühl einen Beruf zu ergreifen, in dem sie Machtgefühle ausleben und anderen ihren Willen aufzwingen können. Auch wenn ich Fehler mache und mitunter zu wenig Rücksicht auf andere nehme, kann ich sagen, dass ich nicht Priester geworden bin, um eine Gemeinde zu beherrschen, sondern um das Evangelium zu verkünden, einen Raum zu schaffen, in der die Nähe Gottes erfahrbar wird, und Menschen zu begleiten auf ihrem Weg mit Gott, der über viele Höhen und Tiefen und Verdichtungen des Lebens führt. Ich traue mir auch zu, aus der Beschäftigung mit der Heiligen Schrift, der Tradition unserer Kirche, meiner eigenen Erfahrung und vielen Gesprächen, in denen ich die Glaubenskraft bei vielen Menschen in Krankheit, Krise und Freude erlebt habe, Orientierung und Impulse zu geben, wie man als Christ bestehen kann. Diese Absicht unterstelle ich der überwiegenden Mehrheit meiner Mitbrüder. Wir werden dabei auch Menschen vor den Kopf stoßen, aber mitunter gelingt es doch, anderen Hilfe auf dem Weg zu sein. Paulus gibt der Gemeinde in Korinth das entscheidende Kriterium an die Hand, um zu prüfen, ob Reden und Handeln übereinstimmen: „Wir sind nicht Herren über euren Glauben, sondern wir sind Mitarbeiter eurer Freude; denn im Glauben steht ihr fest.“ (2 Kor 1,24).
Wann dürfen Sie Bischöfen, Priestern, Diakonen und hauptamtlichen MitarbeiterInnen der Kirche Gehör und Vertrauen schenken? Ich denke in Anlehung an den paulinischen Gedanken immer dann, wenn Sie spüren, dass die VerkünderInnen Ihren eigenen Glauben achten und anerkennen, dass sie nicht kommen, um Ihnen zu sagen, was sie glauben und tun müssen, sondern „Werkhelfer der Freude“ (Fridolin Stier) am Leben und am Glauben sind. Nicht Papst, Bischöfe, Priester, Diakone, Pastoral- oder GemeindereferentInnen schenken uns den Glauben, der Glaube wird uns zumeist noch in der Kindheit ins Herz eingepflanzt und wächst. SeelsorgerInnen können uns dabei helfen, den Glauben zu entfalten, die Sehnsucht nach Gott wachzuhalten oder sogar zu wecken, den Weg zu finden, den mit Gott bestimmt hat. Aber dafür werden weder „Alles-Versteher“ noch „aalglatte Katalog-Models“ gebraucht, sondern Menschen, die um ihre Schwäche wissen, aber auch ihr Stärken in der Beschäftigung mit der Heiligen Schrift und der Lehre einsetzen, um Ihnen zu helfen, den eigenen Glauben als Hilfe zu erfahren in allen Umbrüchen des Lebens. Dazu braucht es Menschen, die weder den Anspruch des Evangeliums verwässern noch ihn benutzen, um anderen eine unerträgliche Last aufzubürden, sondern mit Klugheit und Treue zur Frohen Botschaft Impulse zu geben, verantwortlich vor Gott und dem eigenen Gewissen leben zu können.
Das erlaubt auch, dass mündige Getaufte nicht immer mit den Vorgaben des Lehramtes überein-stimmen. Wer Familie lebt, Kinder und Enkel hat, wird oft spüren, dass Lehre der Kirche und die eigene Lebenswirklichkeit bzw. der der nächsten Generation auseinanderklaffen. Es ist richtig, dass die Kirche sich nicht dem Zeitgeist beugen darf, aber auch sie, die sich rühmt, die älteste Institution der Welt zu sein, kann noch von der Welt lernen, z.B. die Bereitschaft zu Solidarität und Nächstenliebe auch außerhalb der eigenen Reihen wahrzunehmen, neue Formen von Partnerschaft zu achten und barmherzig mit Menschen umzugehen, die nicht in allem der Norm kirchlicher Gesetzgebung folgen. Die Welt und wir können an einer Kirche lernen, die in 2000 Jahren Reiche, Moden, Ideologien und Philosophien kommen und gehen gesehen hat und als einzige Bestand hatte, aber auch die Kirche kann noch immer an den Menschen lernen, den letztlich ist sie von Gott als Verkünderin der frohen Botschaft zu ihnen gesandt und nicht als Oberlehrerin der Welt. Eine Kirche und mit ihr die SeelsorgerInnen, die in ihr wirken, kann auch heute noch authentisch und als große Hilfe wahrgenommen werden, wenn sie vor dem Kriterium des Paulus besteht: „Wir sind nicht Herren über euren Glauben, sondern wir sind Mitarbeiter eurer Freude; denn im Glauben steht ihr fest.“ (2 Kor 1,24). Sven Johannsen, Pfr.