Predigt 15. Sonntag im Jahreskreis „Wie Gott uns sieht“ (Eph 1,3-14)
„Hammer-Halbfinale: Wunderkind schmeißt Mbappe raus“ – so war es am Tag nach der Halbfinal-Begegnung zwischen Spanien und Frankreich am vergangenen Dienstag in vielen Zeitungen als Aufmacher des Sportteils zu lesen. Medien und Zuschauer geraten seit Beginn der EM ins Schwärmen, wenn sie von Lamine Yamal berichten. Der Sechzehnjährige wird auf eine Stufe gestellt mit Lionel Messi, Cristiano Ronaldo und eben Kilian Mbappe, dessen französische Nationalmannschaft er mit seinem Tor in München aus dem Turnier kegelte. Es gibt kein Halten im Lob auf das Wunderkind und den kommenden Superstar, der möglicherweise noch viele Jahre den internationalen Fußball dominieren wird. Jetzt sind sogar Bilder aufgetaucht, die ihn als Baby auf den Armen von Messi zeigen, gedeutet von blutfarbenen deutschen Medien als Segensgestus. Selbst der Himmel wird bemüht, um das Staunen über den 16jährigen Torschützen zu zelebrieren.
Möglicherweise hält der Ruhm aber auch nicht lange. Gerade im Fußball erleben wir sehr schnell den bitteren Absturz von Helden der einen Meisterschaft im nächsten Turnier. Dafür bürgt das Beispiel der deutschen Nationalmannschaft nach dem WM-Sieg von 2014. Mario Götze, der Schütze des siegreichen Tors, wurde erst gefeiert und in den Himmel gehoben und landete später sehr unsanft in der „normalen“ Realität. Allzu vollmundigem Schwärmen und großem Pathos sollte man wenig Vertrauen schenken, denn dem „Hosanna“ folgt bekanntlich schnell das „Kreuzige ihn“.
Geradezu überschwänglich ist der Apostel Paulus heute im Epheserbrief, wenn er von den Gläubigen in den kleinasiatischen Gemeinden und uns spricht. Da wird kein Lob ausgelassen:„Gesegnet – erwählt vor der Erschaffung der Welt – geliebt – reich beschenkt – zu Erben bestimmt.“ Der eine oder andere wird wohl misstrauisch, ob dieser Schwall an Lobsprüchen der eigenen Lebenssicht entspricht. Paulus schmiert uns keinen Honig um den Mund. Vielmehr lässt sich der tiefste Sinn des Epheser-Lobpreis in einen Satz bringen: Wir sollen die Welt mit all ihren hellen und dunklen Seiten realistisch sehen und erkennen, dass Gottes Segen in ihr wirkt.
1) Unser Segen: „Er hat uns erwählt vor Grundlegung der Welt“
Heißt das, dass wir die Elite der Menschheit sind und auf andere herabsehen dürfen? Es geht hier nicht um die Ehrung der Leistung und Bedeutung Einzelner, sondern um einen Blick auf die Geschichte der Schöpfung. Die Zeit ist für Paulus durchflossen vom Segen Gottes. Als Erwählte von Anfang an ist die ganze Schöpfung nicht zum Untergang verdammt, sondern zur Vollendung gerufen durch den, der den Anstoß zum Leben gegeben hat. Sein Segen, sein Zuspruch und Wohlwollen, durchzieht die Geschichte wie ein roter Faden: Vom Segen über alles Geschaffene, darunter der Mensch, Frau und Mann, gesegnet als Abbild Gottes und beauftragt, seine Schöpfung als guter Hausverwalter zu bewahren und zu beschützen. Immer neu wird der erste Segen in Erinnerung gerufen und bekräftigt: Noah, Abraham, Jakob, David. In der Mitte steht Jesus Christus, der selbst zum Segen wird für uns und die kommenden Generationen. Jesus ist der Sohn und durch ihn werden wir Gottes Kinder. Das ist kein Verdienst, sondern allein aus Liebe geschehen. Was so abgehoben klingt, ist letztlich nichts anderes als eine Einstellung zur Schöpfung. Nicht nur Naturwissenschaftler sehen am Ende die kosmische Katastrophe. Viele von uns sind geneigt, schwarz zu sehen, Horrorszenarien für die Zukunft anzunehmen und den Teufel an die Wand zu malen. Immer gilt da das Wort: Wer ständig den Teufel an die Wand malt, muss sich nicht wundern, wenn dann mal der Teufel los ist. Christen verklären die Welt nicht, aber sie haben Hoffnung für alles, was lebt, auch für sich. Wir haben Verantwortung für die Schöpfung, der wir gerecht werden müssen, noch mehr aber haben wir die Zuversicht, dass sie Raum zum gemeinsamen Leben ist für alles, was geschaffen wurde, weil Gott sie gut gemacht hat und sie erhalten wird als Lebenshaus für alle alle Zeiten.
2) Segen heißt: Wir sind Kinder und Erben
Der Autor des Epheserbriefes erinnert uns an das, was wir sind, Kinder Gottes: „Er hat uns aus Liebe im Voraus dazu bestimmt, seine Söhne zu werden durch Jesus Christus und zu ihm zu gelangen nach seinem gnädigen Willen.“ Er verbindet es mit dem Gedanken, dass wir „heilig und untadelig leben vor Gott.“ Es ist wichtig diese Lebenshaltung nicht als eine Art Bedingung für die Liebe Gottes misszudeuten. Wir werden nicht Gottes Kinder, weil wir heilig und untadelig sind, sondern weil wir Gottes Kinder sind, werden wir einmal heilig und untadelig dastehen. Das macht Gott aus uns, aber wollen wir wirklich Kinder Gottes sein? Kindsein ist zwiespältig. Wir sehnen uns danach, aus den Kinderschuhen herauszuwachsen und als erwachsene Menschen wahrgenommen zu werden: Als Kind den Haustürschlüssel anvertraut zu bekommen, heißt als verantwortlicher Mensch angesehen zu werden. Für viele Kinder, die das Alter eines jungen Erwachsenen erreichen, gibt es nichts Wichtigeres als die eigene Freiheit: ein Auto, mit dem ich unabhängig von den Eltern bin, oder sogar die eigene Wohnung, in der sich sein darf wie ich es will. Andererseits bleiben wir in jedem Alter Kinder von Eltern, selbst wenn diese bereits gestorben sind. Wir verdanken ihnen das Leben, teilen Erinnerungen und sind von ihnen, ob positiv oder negativ, geprägt worden. Für Menschen sind die Erfahrungen des Kindseins die Grundbausteine ihrer Charakterbildung und noch heute besteht im Idealfall dann eine gute Beziehung zu den Eltern, die nicht nur die Menschen sind, die uns zur Welt gebracht haben, sondern auch den Schritt in ein erwachsenes Leben ermöglicht haben. Anderer haben negative Erinnerungen an die Kindheit oder leben mit den eigenen Eltern im Streit. Was meint die Rede von der Erwählung als Kinder Gottes noch vor Grundlegung der Welt? Sind wir abhängige Kleinkinder, die nur eine Möglichkeit haben, nämlich Gott bedingungslos zu vertrauen? Geraten wir irgendwann in einen Generationenkonflikt mit dem Vater? Der Epheserbrief begründet das Wort vom Vatersein Gottes damit, dass er uns in Jesus Christus das Wort der Wahrheit hat wissen lassen. Es geht also nicht um unmündige Schicksalsergebenheit und blinden Gehorsam, sondern um Erkennen und Wissen. Das lässt sich gut auf unsere Erfahrung übertragen. Eine gute Erziehung baut nicht zuerst auf Regeln und Strafen auf, sondern auf Erklären, Hinweisen und Ermutigen, dass das Kind Schritt für Schritt mehr versteht und selbst eine Haltung findet, mit der es in der Welt zurechtkommt. Gott als Vater und Mutter, wie die Bibel immer wieder betont, will durch das Beispiel und das Evangelium Jesu Christi uns dahin führen, selbst die Wahrheit zu entdecken, die hinter allem, was lebt, steckt und uns so zur herrlichen Freiheit der Kinder Gottes führen, wie Paulus es im Römerbrief sagt, um die Sichtweise der Hoffnung für Welt, unser Leben und die ganze Schöpfung einzuüben, wie sie Gott zu eigen ist.
3) Ein dritter Segensstrom ist unser Wirken aus dem Geist Gottes heraus.
Paulus wendet sich direkt an uns: „Ihr habt das Siegel des verheißenen Heiligen Geistes empfangen,
als ihr zum Glauben kamt. Der Geist ist der erste Anteil unseres Erbes, hin zur Erlösung“. Für die alte Kirche, heute noch im Zuspruch des Bischofs bei der Firmung aufbewahrt, ist „Versiegelung“ die Bedeutungserklärung für die Taufe. Im Menschen ist jetzt der Geist Gottes wirksam, den er nicht verlieren und der ihm nicht genommen werden kann. Wir haben so Brief und Siegel bekommen, dass wir Kinder Gottes sind und diese Gotteskindschaft auch nicht durch durch unsere Fehler verlieren können. Wir sind versiegelt. Wir müssen Gott nicht stets beweisen, dass wir einer solchen Ehre würdig sind. Vielmehr wirkt jetzt sein Geist in uns und treibt uns an, in seinem Sinn zu leben. Unser Leben ist nicht unter dem Erfolgsdruck des Guten, vielmehr haben wir einen Beistand, den Jesus versprochen hat, der das Kalte in uns wärmen, das Harte in uns erweichen und die Ängste in uns in Mut und Kraft wandeln will. Auf diesen Geist können wir bauen, wenn wir uns einsetzen für das Gutes, so wie es der heilige Augustinus erbeten hat: „Atme in mir, du Heiliger Geist, / dass ich Heiliges denke, / Treibe mich, du Heiliger Geist, / dass ich Heiliges tue, / Locke mich, du Heiliger Geist, / dass ich Heiliges liebe, / Stärke mich, du Heiliger Geist, / dass ich Heiliges hüte / Hüte mich, du Heiliger Geist, / dass ich das Heilige nimmer verliere.“ Der Heilige Geist ist nicht der Oberlehrer, der mich ständig verbessert, sondern der Motivator, der mich antreibt das Gute zu wagen, nach dem ich mich sehen.
Liebe Schwestern und Brüder
Weder werden wir heute wie Fußballstars mit begrenzter Haltbarkeit hochgejubelt noch in den Himmel gehoben, so dass wir am Ende unsanft wieder auf dem Boden der Normalität landen müssten. Wir werden als glaubende Menschen hineingeführt in die Weite des Raumes, den Christus über Zeit und Ort hinaus öffnet, weil wir durch den Sohn Gottes die Gotteskindschaft erlangt haben und so bestimmt sind zum Lobpreis, nicht zum Verzweifeln, Fürchten und Klagen. Heute wird Großes über uns gesagt, nicht weil man uns verklären will, sondern weil wir den Geist als Anteil unseres Erbes erhalten haben, der uns das Ziel zeigt, zu dem Gott uns führen will: Heilig und vollendet bei ihm zu sein zum Lob seiner Herrlichkeit. Amen.
Sven Johannsen, Pfarrer