Predigt 11. Sonntag B – Unser Weg

Predigt 11. Sonntag im Jahreskreis B (2 Kor 5,6-10)

Wechselnde Pfade…“

Wo kämen wir ohne sie hin? Herr Google und Frau Berta bringen uns sicher ans Ziel. Erinnern Sie sich noch an die Zeiten der Italienurlaubs, ausgerüstet mit einer Beifahrerin / einem Beifahrer, die eine riesige Straßenkarte neben Ihnen entfalten und irgendwann merken, dass sie auf dem Kopf steht. Mittlerweile sind Sie schon dreißig Kilometer an der richtigen Abzweigung vorbeigefahren. Also riskantes Wendemanöver und hitzige Stimmung im Wagen. Hinten schreien die Kinder: „Wann sind wir endlich da?“ Vorne zanken sich die Eltern, wer schuld daran ist, den richtigen Weg verpasst zu haben. Früher war Unterwegssein v.a. eine Frage der Vorstellungskraft. Was bedeuten roten Linien? Wie weit sind drei Zentimeter auf der Landkarte? Wie sehen die Wege aus, die auf der Karte gestrichelt eingezeichnet sind?


Heute ist das anders. Die meisten Autofahrer geben vor dem Anlassen des Motors in ihr Navigationssystem oder bei google-maps Zielort, Straße und Hausnummer ein und werden nun kompetent durch die Wirren des weltweiten Verkehrs geführt. Google weiß, wo eine Baustelle ist, und rechnet aus, wie viel Zeit ein Stau kostet und ob es besser ist, einen Umweg zu fahren. Stressfrei und sicherer als der Beifahrer / die Beifahrerin bringen uns heutige technische KartenleserInnen immer punktgenau ans Ziel. Nicht ganz! Fahren Sie mal aus dem Parkhaus raus und warten Sie auf die Anweisung ihres Navigationssystems? In der Regel ist es dann erst einmal desorientiert und jagt sie durch halb Frankfurt und zweimal am Parkhaus vorbei. Auch Navigationssysteme und Google-maps wissen nicht immer den Weg. Als Radfahrer oder Wanderer im Wald kann es schon mal panisch werden, wenn die Komoot-App keinen Empfang mehr hat und einfach aussetzt. Dann muss man sich auf seinen Orientierungssinn verlassen, sein Gefühl, wo Norden, Osten, Süden oder Westen ist, und auf sein Erinnerungsvermögen an Wanderschilder oder markante Bäumen oder noch besser auf die Fähigkeit, den Stand der Sonne zu deuten, die einem sagt, ob ich richtig bin oder nicht. Geht gar nichts mehr, dann am besten hinsetzen und laut weinen bis die Bergwacht kommt. Wir wissen nicht immer den Weg und manchmal wollen wir das auch gar nicht. Immer die bekannten Wege neu austreten, ist auf Dauer langweilig.

Aber wäre das für das Leben nicht wirklich ein Gewinn? Stellen sie sich eine Warn-App für ihr reales Leben vor? Sie verrät ihnen freudige Überraschungen und verrät Ihnen Schicksalsschläge und Leiderfahrungen in der Zukunft:

Nach dem Tod der Eltern werden Sie sich mit den Geschwistern wegen des Erbes zerstreiten und nie mehr ein Wort miteinander reden.

In fünf Wochen trifft Sie eine schwerwiegende Erkrankung.

In zwei Stunden bitte das Haus nicht verlassen, weil gute Freunde zu Besuch kommen.“

Könnten wir die Zukunft verändern, dann wäre so eine App eine große Hilfe. Aber genau das geht ja nicht. Wir können so leben, dass wir nicht krank werden, so miteinander umgehen, dass wir uns nicht streiten, so offen sein, dass Menschen gerne mit uns zu tun haben, aber wissen, was in einer Stunde, einer Woche oder in einem Monat passieren wird, das wäre Wahrsagerei. Und wenn wir es wüssten?
Wie würden wir leben, wenn wir angekündigt bekommen, dass wir in einem Monat einen Schicksalsschlag hinnehmen müssten, den wir nicht verhindern können? Würde dieses Wissen uns helfen oder nicht eher den Augenblick belasten, in dem es uns gut gehen könnte? Wir wollen sicher nicht in den Tag hineinleben, aber das Wissen, dass unser Weg schon festgelegt und vorbestimmt ist, macht uns zu Marionetten.

Es ist normal, dass Menschen Wechselfälle vermeiden wollen, aber sie gehören zu unserem Leben dazu. Vielleicht ist es besser, dass wir manchmal nur ahnen können, was auf uns zukommt und nicht alles im Detail wissen, das wir „Glaubende sind, nicht Schauende“, wie es Paulus in der heutigen Lesung aus dem 2. Korintherbrief beschreibt.

Die beiden Briefe an die Gemeinde in Korinth bieten einen bunten Strauß an Themen und Anliegen. Es geht aber immer um aktuelle Probleme und Fragen in der Gemeinde, auf die Paulus als Seelsorger und Theologe Antworten versucht. Wir lesen im Abschnitt, der sich offensichtlich mit der Frage nach dem Tod und dem Danach beschäftigt, aber der Horizont ist größer. Paulus muss sich gegenüber den Korinthern immer wieder rechtfertigen. Andere Missionare kommen, machen Paulus schlecht und greifen seine Autorität als Apostel an. Paulus nutzt die existenzielle Frage der Korinther nach dem, was wir wissen können über unsere Zukunft, um sich selbst als guten Begleiter und Berater darzustellen. Angesichts der Sorgen, die sich die Menschen in der Gemeinde um die Zukunft machen, argumentiert Paulus mit der eigenen Hoffnung, so wie es der Neutestamentler Klaus Berger treffend schreibt: „In Korinth wisst ihr wohl nicht recht, woran ihr seid mit mir, ob ich euch nur ausnutzen und beherrschen will, ob ich euch wirklich liebe. Aber ich kann euch versichern: Ich erwarte ein ewiges Leben und ein Gericht. Allein schon von daher könnt ihr doch annehmen, dass ich mich ordentlich verhalten will, denn mit meinem Verhalten steht doch meine ganze Zukunft bei Gott auf dem Spiel.“ (Klaus Berger; Die Briefe des Heiligen Apostel Paulus. Meditationen zu den Sonntagslesungen) Er doziert nicht über eine Lehre der letzten Dingen, sondern spricht ganz persönlich und angreifbar von seiner Hoffnung, die ihn über den Graben des Todes hinweg tragen kann. Der Text ist angefüllt von einer großen Sehnsucht nach der wahren Heimat, die Paulus nur in Jesus finden kann. Es gilt einem Missverständnis Einhalt zu gebieten: Es geht nicht um die Abwertung des irdischen Lebens und dieser Welt. Gott hat sie gut geschaffen und dem Menschen anvertraut. Deshalb kann sie kein Jammertal sein. Aber sie ist auch nicht die letzte Heimat. Im Denken des Paulus müsste man unterstellen, dass der Mensch, der nicht an ein Zuhause sein bei Christus sieht, gezwungen ist, den Teil seines Lebens zu vergöttern, in dem er am glücklichsten war, und Jugend, Gesundheit, Fitness und Wohlergehen zu Götzen zu erheben. Aber das ist ja nur ein begrenzter Teil meines Lebens. Der christliche Glaube hat immer das ganze Leben, auch die Zeiten der Schwäche, des Leids und der Krankheit in den Blick genommen, ja sogar den Moment des Sterbens. Paulus wertet das irdische Leben nicht ab, sondern gibt ihm eine größere Perspektive, die es aufwertet, weil es ihm ein letztes Ziel gibt: das Zuhause-Sein bei Gott. Wir können es nicht naturwissenschaftlich beweisen, aber belegen durch eine Haltung, die wir und andere Menschen leben: Die Zuversicht. Sie ist keine blinde Träumerei gegen die Wirklichkeit, sondern eine Sehnsucht des Herzens, das weiter sieht als unsere Augen und unser Verstand.

Zuversicht als Haltung drückt für mich ein alter baltischer Hausspruch aus, ein Segenswort, das auch zum beliebten Kanon v.a. in evangelischen Kirchengemeinden geworden ist: „Wechselnde Pfade, Schatten und Licht – Alles ist Gnade. Fürchte dich nicht.“ Für mich zeigt es sich als Trostwort in den großen Übergängen des Lebens.

Pfade sind schmal. Wer einem Pfad folgt, hat den langsamen Weg gewählt, einen, der Zeit kostet und Zeit schenkt, um die Schönheit der Natur wahrzunehmen oder im Schweigen den inneren Weg zu finden. Auf Pfaden ist man nicht auf der Überholspur. So ist auch unser Lebensweg keine Autobahn. Er ist ein langsames Reifen und Wachsen in der Hoffnung, wie es das Evangelium formuliert. Mitunter wechseln die Pfade. Leben verläuft niemals geradlinig. In unserem Leben gibt es Schatten und Licht, die wir oft nicht vorhersehen können, aber die uns immer wieder zeigen, dass unser Weg vom Dunkel ins Licht führt und nicht umgekehrt. Wir können auf unseren Weg zurückblicken, ihn im Augenblick wahrnehmen und deuten, wo wir im Leben stehen, aber der Glaube sagt uns, dass der eigentliche Blick nach vorne gerichtet sein soll. Unser Gott ist ein Gott der Zukunft, das große Geheimnis hinter allen Dingen, wie es Karl Rahner sagt, von dem wir wissen, dass er nicht gegen uns, sondern für uns ist. Deswegen können wir zuversichtlich sein, weil wir wissen, dass wir nicht gegen die Wand laufen, sondern ans Ziel kommen und heimkehren, wie es Paulus heute sagt. Weil wir wissen, dass Gott uns die Sehnsucht nach dem großen Ziel ins Herz gelegt hat und dass er für uns Christus zum Weg gemacht hat, können wir ohne Angst in die Zukunft gehen. Alles ist Gnade, weil einer da ist, der den Weg mit den Menschen teilt, ob sie ihn sehen oder nicht, ob sie ihn spüren oder nicht, ob sie ihn Gott nennen oder nicht. Glauben heißt nicht, orientierungslos durch das Leben zu geistern, sondern seinen Weg zu gehen, weil uns Gott zugesagt hast: „Fürchte dich nicht, denn ich bin mit dir, wenn du durchs Wasser schreitest und wenn du durchs Feuer gehst.“ (Jes 43,2-5).

Als Glaubende gehen wir unseren Weg, nicht als Schauende. Das ist gar nicht so schlecht. Denn als Glaubende wissen wir und können bekennen:

Wechselnde Pfade – Schatten und Licht. Alles ist Gnade – Fürchte dich nicht.“ Amen

Sven Johannsen, Pfr.

11 Unser Weg