Predigt 22. Sonntag “Gesundes-Herz-Gesetz”

Liebe Schwestern und Brüder

Karl Lauterbach und die Bundesregierung sorgen sich um unsere Gesundheit. Zwar scheint sich auf den ersten Blick der „gesamtdeutsche“ Gesundheitszustand eher positiv zu entwickeln, wie erst vor wenigen Tagen das statistische Bundesamt mitteilte. Erstmals seit 2016 ist die Zahl der Todesfälle 2023 um 3,6 % von 1,07 Millionen Verstorbenen 2022 auf 1,03 Millionen 2023 gesunken. Klingt gut. Dennoch bleiben Herz-Kreislauf-Erkrankungen die häufigste Todesursache in Deutschland. Ein Drittel (33,9 Prozent) aller Todesfälle ging auf einen Herzinfarkt, einen Schlaganfall oder eine ähnliche Erkrankung zurück. (ZDF-Nachrichten vom 19.8.2024). Dem will der Bundesgesundheitsminister entgegenwirken.

In der vergangenen Woche hat Lauterbach einen ersten Entwurf für ein “Gesundes-Herz-Gesetz” im Kabinett beschließen lassen. Schon im Kindesalter sollen regelmäßige Untersuchungen stattfinden. Mit vielen Maßnahmen soll die Zahl der Herztoten in Deutschland deutlich reduziert werden. Das wichtigste, aber auch gefährdetste Organ unseres Körpers ist unser Herz. Es entscheidet über Leben und Tod. Ein “gesundes Herz” ist eine gute Absicherung für ein langes und vitales Leben. Dafür muss der Mensch Vorsorge treffen und ggf. Maßnahmen ergreifen, um das Herz wieder zu reaktivieren. Nicht nur die Therapie, sondern noch mehr die Prävention sorgen dafür, dass unser Herz gesund bleibt. Das wissen nicht nur die Mediziner, es ist eine urbiblische Einstellung.

Heute legen uns die Lesungen des Sonntags Maßnahmen für ein “Gesundes-Herz-Gesetz” vor, das mehr Leben schenken will als einige Jahre, die wir länger auf Erden bleiben können. Es geht um das Herz als Umschreibung unseres ganzen Menschseins in der Gegenwart und auch in der Zukunft.

Eine evangelische Pfarrerin hat m.E. treffend beschrieben, wie die Bibel das Herz als Symbol für den Menschen versteht: “In der Bibel wird oft vom Herzen gesprochen. Das Herz bildet in der Welt der Bibel die Mitte des Menschen. Hier kommt alles zusammen. Denken, Fühlen und Wollen. Das Herz ist auch der Sitz der Vernunft. Wir ordnen sie heute ja eher dem Kopf, dem Gehirn zu. Aber für die Menschen zu biblischen Zeiten war das Herz das entscheidende Organ des Menschen. Nicht als Muskel, der funktionieren muss, damit wir gesund leben, sondern in einem anderen Sinn. Vom Herzen her geht er Beziehungen ein, kann hinhören, wahrnehmen, verstehen. Vom Herzen her kann er die Welt begreifen.“ (Gabriele Heppe-Knoche in: /www.kirche-im-hr.de/sendungen/2022/hr2-zuspruch/03/18-das-herz-symbol-fuer-den-ganzen-menschen). Zugleich ist das Herz der Ort, an dem der Mensch Gott begegnet. Hier öffnet oder verschließt er sich. Im Herzen betritt der Mensch das Heiligtum in sich, im dem er sich mit Gott allein Auge in Auge findet. Das Herz ist Synonym für das Geheimnis unseres Lebens in seiner ganzen Vielschichtigkeit. Der Verweis auf das „Herz“ in der Bibel öffnet die weiteste Perspektive menschlichen Lebens: Es geht dann immer ums Ganze, nicht um eine Einzelperson, sondern um alle, nicht um einen Bereich der Existenz, unsere Gefühle, unser Denken o.ä., sondern um uns als Person in allen Dimensionen. Vom Herzen aus wird der Mensch und das Volk Gottes verstehbar. Die heutigen Lesungen entfalten diesen Gedanken vom Herzen als Sitz unserer Persönlichkeit und Entscheidungsort für ein gelingendes Leben.

In Fortführung der heutigen ersten Lesung fasst Mose in seiner großen Rede vor dem Volk das Ziel der zehn Gebote später so zusammen: „Diese Worte, die ich dir heute auftrage, sollen in deinem Herzen sein“ (Dtn 6,6) Die Gesetze und Vorschriften Gottes sind keine Gängelung, sondern eine Anleitung zum gelingenden Leben, so dass Mose sagen kann: „Hört und ihr werdet leben.“ Das Herz ist der Ort, in dem der Mensch Person ist, also durchklingt („personare“), wer er wirklich ist, und in dem auch seine Beziehung zu Gott verankert ist. Es geht nicht um ein kleinliches und skrupulöses Streben nach moralischer Perfektion, sondern ein inneres Empfinden von Gut und Böse, das sich aus der Orientierung an Gottes Willen speist. Wer sich mit den Geboten konfrontiert sieht, braucht die richtige Voreinstellung, die in der Rede des Mose anklingt: Nicht Furcht vor einer dämonischen Schicksalsmacht treibt zum guten Handeln an, sondern das Wissen um die Nähe Gottes, der mich anleitet zum Glücklichsein. Weil diese Erfahrung der Nähe Gottes, die sich in mir auswirkt, zum Deutungsschlüssel für das Leben wird, geht es im Glauben nicht nur um das Hören mit den Ohren und Auswendiglernen von Vorschriften, sondern um das Hören mit dem Herzen und das Handeln aus der menschlichen TIefe, das unterstreicht, dass ich niemals alleine glücklich werden kann, sondern nur im Bund mit anderen Menschen und mit Gott.

Pointierter noch fasst der Autor des Jakobusbriefes diesen Gedanken vom richtigen Hören und der Umsetzung ins Leben in die Formulierung: „Werdet Täter des Wortes.“ Es gibt keine Trennung zwischen meiner religiösen Prägung und dem Verhalten im Alltag. Wir betrügen uns selbst, so Jakobus, wenn wir nur den schönen, frommen Worten vom Gutsein zustimmen, aber nicht kreativ werden und in konkreten Taten zur Ehre Gottes wirken. Jakobus fordert keine moralische Perfektion, wenn er unser Leben als Gottesdienst beschreibt, sondern erinnert daran, dass unser Gutsein nicht Leistung ist, sondern Antwort auf Gott, der zuerst an uns handelt. Ein Theologe hat einmal das Wort geprägt: „Der Indikativ der Heilszusage steht vor dem Imperativ der sittlichen Forderung.“ Wir erwarten von Gott nicht eine Belohnung für unsere guten Taten und eine Bestrafung für unsere Verfehlungen. Wenn wir die Hilfe für andere Menschen nur als Mittel verstehen würden, uns Gott gewogen sein zu lassen, nutzen wir sie aus für unsere Zwecke. Gott gibt uns nicht das Gute für unser Leben, weil wir gut waren zu anderen. Er hat uns im Voraus beschenkt. Er ruft uns ins Leben und gibt uns den Geist für ein gelingendes Leben. Glaube ist im Jakobusbrief die Einsicht, alles Gute als Geschenk Gottes zu sehen und uns entsprechend zu verhalten. Der Ort, an dem dieses Wissen reift, ist unser Herz.

Aber in gleicher Weise kann auch das Gegenteil gelten, so dass Jesus heute feststellt: “Denn von innen, aus dem Herzen der Menschen, kommen die bösen Gedanken, Unzucht, Diebstahl, Mord, Ehebruch, Habgier, Bosheit, Hinterlist, Ausschweifung, Neid, Lästerung, Hochmut und Unvernunft. All dieses Böse kommt von innen und macht den Menschen unrein.“ Religiöse Gebote und Rituale können leer werden und so ihren Sinn verlieren. Gerade aber den Pharisäern, die in der christlichen Überlieferung ein äußerst schlechtes Image abbekommen haben, ging es darum, keine blutleeren Riten und Gesetze zu installieren. Die Aufforderung, das ganze Leben zum Gottesdienst zu gestalten, die wir schon in der zweiten Lesung gehört haben, ist pharisäisches Identitätsmerkmal. Natürlich forderten sie auch Verbindlichkeit ein, die sich in Gesetzen und Vorschriften ausdrückte und dann auch kritisiert wurde, aber in keinem Fall waren sie eine Sekte von Heuchlern, die nur reden und nicht handeln. So deutet Jesus auch für sie zurecht das Handeln aus dem Herzen als Wunsch nach Berührung und Nähe, nicht als Buchstabentreue und Ritualisierung. Die Kritik Jesu ist nicht beschränkt auf seine Gegner im Gespräch, sondern offenbart die Versuchung jedes religiösen Menschen, den Glauben zum Formalismus erstarren zu lassen. Die Pharisäer waren ehrenwerte Menschen, die versuchten, die Gebote Gottes für ihre Zeit zu deuten. Dieses Anliegen hat auch Jesus bewegt. Pharisäer und Jesus sind sich sehr nahe, daher kann man verstehen, dass in der christlichen Literatur diese Gruppe auch als Hauptgegner ausgemacht wurde. Das gemeinsame Anliegen aber ist die richtige Ausrichtung des Herzens als die beste Quelle für Gefühle und Entscheidungen, weil es allein weiß, dass wir in der ständigen Gegenwart Gottes leben.

Liebe Schwestern und Brüder,

Tagesgebete sind selten besonders aussagekräftig. Sie dienen nur der Zusammenfassung unseres inneren Betens. Heute aber finden wir eine stark formulierte Bitte im Eröffnungsgebet der Messfeier, die die drei Lesungen auf den Punkt bringt: „Allmächtiger Gott, von dir kommt alles Gute. Pflanze in unser Herz die Liebe zu deinem Namen ein. Binde uns immer mehr an dich, damit in uns wächst, was gut und heilig ist. Wache über uns und erhalte, was du gewirkt hast.“

Das Gesetz Gottes wird uns nicht übergestülpt, vielmehr wächst es als Frucht unserer Liebe zu ihm.

Es ist unser Herzensanliegen und nicht fremder Einfluss, dass wir versuchen, Gott und den Menschen gerecht zu werden, und uns um das Gute bemühen. Ein gesundes Herz garantiert nicht nur ein langes und vitales körperliches Leben, sondern gibt meinem Wollen, Denken, Handeln und Reden einen gleichmäßigen Rhythmus. Es lässt sich nicht so leicht durcheinanderbringen. Ich kann mich darauf verlassen. Ich kann ihm vertrauen. Das Hören auf Gott will unserem Herz diese Festigkeit und Beständigkeit im Guten geben, mit dem unser Leben gelingen kann, das irdische Leben und das ewige Leben. Amen.

Sven Johannsen, Pfr.

22 Das gesunde Herz Gesetz