Predigt „Talita Kum! – Auferstehung ins Leben“

Sterben kann nicht so schlimm sein, sonst dadn’s net so viele machn.“ (Fredl Fesl)

Liebe Schwestern und Brüder

am vergangenen Dienstag verstarb nach einer langen Parkinson-Erkrankung ein echter bayerischer Held, der Liedermacher und Mundart-Barde Fredl Fesl. Ihm verdanken wir kulturelle Beiträge der höchsten Qualität wie den „Königsjodler“ und Erkenntnisse, die das Denken der Welt nachhaltig bereichert haben. Nur ein so weiser und philosophischer Mensch wie Fredl Fesl konnte durch Beobachtung zu dem Schluss kommen, dass Reittiere, die auf der Erde traben, „Pferde“ heißen müssen, denn, welch eine grandiose Logik, würden sie in den Lüften fliegen, dann müssten sie ja „Pfluftl“ heißen. Er war eine Ausnahmeerscheinung unter den Kabarettisten und Komödianten unserer Zeit: nie vulgär oder bösartig, aber hintersinnig und ironisch, wie man sich einen echten Bayern vorstellt.

Über sich selbst konnte er auch lachen und meinte einmal: „Wenn ich net so bescheiden wär, dann wär ich a bisserl stolz auf mich“ Natürlich hatte er auch eine humorvolle Einstellung zum Tod. In einem „Gipfeltreffen“ mit Werner Schmidbauer meinte er 2008 auf die Frage, ob er sich eine Wiedergeburt auf der Erde nach seinem Tod wünsche: „Ich brauch nimmer kommen, weil ich schon alles weiß, was für mich wichtig ist.“ Und kurz vor seinem Tod, so schildert es seine Ehefrau, meinte er humorvoll: „Sterben kann nicht so schlimm sein, sonst dadn’s net so viele machn.“ (https://www.br.de/nachrichten/kultur/kulturszene-trauert-um-fredl-fesl-ein-echter-bayerischer-held,UGskA7u)

In der Regel ist unser Verhältnis zum Tod nicht so abgeklärt und humorig, wie es in den Worten von Fredl Fesl zum Ausdruck kommt. Wir sind keine Kabarettisten. Tod ist mit Schrecken und Trauer mit oft unendlichen Leid verbunden. Wir können uns wohl die erste Reaktion des Jairus vorstellen in dem Moment, in dem die Boten seines Hauses kommen und ihm die schreckliche Nachricht überbringen: „Deine Tochter ist gestorben.“ Die Welt des Jairus bricht in diesem Moment zusammen. Er ist einer der ganzen wenigen aus der jüdischen Führungsschicht, die von Markus positiv dargestellt werden. Er hat seine letzte Hoffnung auf Jesus gesetzt und sich gelöst aus der feindseligen Front seiner Kollegen. Er fleht Jesus an: „Mein Töchterchen liegt im Sterben. Komm und leg ihr die Hände auf, damit sie gerettet wird und am Leben bleibt.“ Jetzt muss er von den eigenen Leuten hören, dass auch Jesus nichts mehr tun kann. Es ist leicht sich in Jairus hineinzudenken: Verzweiflung, unendliche Trauer, aber auch Wut dürften ihn in diesem Moment befallen haben. Er hatte Jesus gedrängt, keine Zeit zu verlieren. In seinem Reden und Handel spürt man die Dringlichkeit seiner Bitte und die Eile, die nötig ist, um das Schlimmste zu verhindern. Und Jesus? Er lässt sich alle Zeit der Welt. Anfangs folgt er noch dem Drängen des Jairus und macht sich auf den Weg, dann aber unterbricht er den Rettungsweg, hält inne und sucht nach dem Menschen, der ihn berührt hat. Keine Bewegung mehr und kein Schritt nach vorne. Jesus verliert Zeit, die unbedingt nötig wäre, um das Mädchen zu retten. Und es kommt, wie es kommen muss: Es ist zu spät. Jetzt, so die traurige Nachricht der Boten, kann auch Jesus nichts mehr tun. Das Mädchen ist tot, jede Rettung ist ausgeschlossen.

Mit Blick auf die erste Lesung und auf den unnötigen Zeitverlust Jesu kommt mir ein Gedanke, was für den glaubenden Menschen Trauer bedeutet: Das Erschrecken, dass Gott zu spät kommt. Gott will nicht den Tod, so die erste Lesung, ja er ist der Freund des Lebens und hat nichts mit dem Tod zu schaffen. Der Autor des biblischen Weisheitsbuches geht so weit, dass er bekennen kann: „Gott hat den Menschen zur Unvergänglichkeit erschaffen.“ Die Tatsache des Todes schreibt er anderen Mächten zu. Wenn also ein Mensch stirbt, dann geschieht es gegen Gottes Willen. Das verleitet tatsächlich in der Folge zu dem Schluss, dass Gott zu spät kommt, um das Leben zu retten. In der Rahmenerzählung des Evangeliums, die um Jairus und seine Tochter kreist, scheint das wirklich so. Jesus ist schuld an der Zeitverzögerung und hat so den Tod des Mädchens in Kauf genommen. Aber Markus weiß es besser: Gott verliert nicht gegen den Tod. Jesus bleibt auch nach dem Tod Herr des Lebens. Bischof Franz Kamphaus hat die christliche Sicht von Auferstehung treffend beschrieben, wenn er feststellt, dass das irdische Leben durch den Tod beendet wird. Es findet keine Fortsetzung über den Tod hinaus statt. Dennoch aber behält der Tod nicht das letzte Wort: Das irdische Leben wird nicht fortgesetzt, sondern vollendet und verwandelt. Es geht tatsächlich nicht einfach weiter, sondern mündet in die vollkommene Gemeinschaft mit Gott und den Menschen, mit denen wir durch das Band der Liebe verbunden sind. Gott lässt den Menschen nicht ins Bodenlose fallen, das wird an der Erzählung von der Auferweckung der Tochter des Jairus deutlich. Es gibt immer noch Hoffnung. Der Tod ist nicht der Sturz ins unwiderrufliche Nichts, sonst könnte Jesus sie auch nicht ins Leben zurückrufen. „Talita kum“, „Steh auf!“ – es ist das eindringliche und einfache Bild vom Kind, das morgens aus dem Schlaf aufgeweckt wird, das für die Bibel zum österlichen Ereignis wird. Gott weckt aus dem Schlaf auf und schenkt neues Leben. Felix Evers, Pfarrer in Hamburg-Billstedt, hat vom heutigen Evangelium den Glauben an die Auferstehung erschlossen: „Nein, dieser in uns bettelarme Geschöpfe verliebte himmelreiche Gott hebt, wie es uns am Beispiel der 12-jährigen Tochter des Jairus offenbart wird, unser aller Leben im Todesaugenblick auf: Er bewahrt (hebt auf), was gut war. Er vergibt und tilgt (hebt auf), was nicht gut und damit Sünde war. Er richtet empor (hebt auf), was mich niederdrückt und meine Würde verdunkelt hat.“ (CiG 26/2021) „Steh auf“ – so einfach wird für uns Ostern sein. Gott kommt nicht zu spät, wenn wir an der letzten Schwelle unseres irdischen Lebens stehen, sondern wartet schon, um uns zuzurufen: „Talita kum! Steh auf!“

Die Verzögerung der Rettung ist im heutigen Evangelium einer zweiten Erzählung geschuldet: Die Heilung einer Frau, die lange schon an Blutungen leidet. Mediziner würden heute wohl eine „Endometriose“ diagnostizieren, also keine Strafe Gottes, sondern eine chronische Erkrankung des Unterleibs. Beide Geschichten, die ursprünglich nicht zusammengehören, verbindet Markus durch eine symbolische Entsprechung. Zunächst handelt es sich in beiden Erzählungen um Frauen. Dann v.a. ist es die Jahreszahl, die die Heilung und die Auferweckung verbindet: Zwölf Jahre leidet die Frau an ihrer Krankheit. Zwölf Jahre ist das Mädchen alt, das im Sterben liegt. Es ist die gleiche Dauer an Leid und an Leben, das nun enden soll. Damit kann Markus von der Erzählung der Jairus-Tochter einen anderen Impuls einwerfen: Der Tod beginnt nicht erst am Ende des Sterbens, sondern greift weit ins Leben hinein. Die Frau ist sozial tot. Ihre Blutungen, die nicht aufhören wollen, machen sie nach dem Buch Levitikus unrein und somit unberührbar für jeden Juden. In den zwölf Jahren der Krankheit hat sie viel verloren: Ihr Geld, das sie in die Behandlungen gesteckt hat, die nichts nutzen, ihr Vertrauen in die Heilkunst, die keinen Erfolg zeigt, ihre sozialen Kontakte zu Familienangehörigen und Freunde, die sich zurückgezogen haben. Ihr Tod ist nicht das Ende des körperlichen Lebens, sondern die Armut und die Einsamkeit. Sie hat niemanden mehr und ihre Lebensperspektive heißt: tot sein vor dem Sterben. Eines aber hat sie nicht verloren: den Glauben, letztlich das Vertrauen in Gott, der sie nicht im Stich lässt. Sie wagt den Tabubruch und berührt Jesus, obwohl sie sicher weiß, dass ihr und ihm das verboten ist. „Talita kum!“ „Steh auf!“ – ruft Jesus dem Mädchen zu. „ Meine Tochter, dein Glaube hat dich gerettet. Geh in Frieden!“ sagt er der geheilten Frau zu. Sie ist nicht nur körperlich gesundet, sondern mit dem Zuspruch „meine Tochter“ wieder öffentlich etabliert in der Familie Gottes, aus der sie niemals ausgeschlossen war, aber von Gesetzen und Vorurteilen hinausgedrängt wurde.

Österliches Christsein ist eine Glaubenssache. Gott kommt nicht zu spät, er übersieht auch nicht die Todesspuren in unserem Leben und lässt uns nicht in Nichts fallen. „Steh auf“, so wird der Ruf lauten im Augenblick des Todes, den auch unserer Verstorbenen schon gehört haben. „Dein Glaube hat dir geholfen“ ist der Zuspruch, den wir schon jetzt erfahren in allen Begrenzungen und Endlichkeiten dieses irdischen Lebens.

Die beiden Frauengeschichten ergänzen sich. Sie sprechen beide von der Macht des Glaubens als Vertrauen in Gott. Die erwachsene Frau, die zwölf Jahre an einer Krankheit leidet, die sie demütigt, ausgrenzt und zur lebenden Toten macht, erfährt durch einen schlichten Glauben Heilung. Das zwölfjährige Mädchen, über dessen Glauben wir nichts erfahren, aber dessen Leben zu Ende gehen scheint, darf auf den stellvertretenden Glauben seines verzweifelten Vaters ihr Hoffnung bauen: Glaube nur – Gott ist nie zu spät und nie zu beschäftigt, dass er keine Zeit hat, dein Leben zu retten.

Sterben kann nicht so schlimm sein“, nicht weil es so viele schon gemacht haben, sondern weil wir vertrauen, dass Gott dem Tod immer einen Schritt voraus ist, ob im Leben oder im Sterben. Amen.

Sven Johannsen, Pfarrer.

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