Predigt 12. Sonntag B „Vertrauen wagen“

Liebe Schwestern und Brüder

 

„Vertrauen aufbauen und wiedergewinnen – Leitfaden für eine erfüllte Beziehung“

„Trust me. Warum Vertrauen die Zukunft der Arbeit ist“
„Vertrauen kann jeder. Das Rezeptbuch für ein erfülltes Leben“

„Einander vertrauen statt Mauern bauen: Bedürfnisorientierte Zusammenarbeit mit Familien in Kita, Krippe und Kindertagespflege“

„Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ – das war einmal.

Heute wissen wir: Vertrauen ist alles. Zumindest wenn wir der Fülle an Literatur Vertrauen schenken, die für die wichtigsten Bereich des Lebens, Liebe und Partnerschaft, Familie, Arbeit, Erziehung und Sinnsuche“,  das Vertrauen zum Allheilmittel für alle Probleme erklärt. Der Markt an Vertrauens-Literatur boomt. Der größte Online-Versandhändler der Welt bietet 100.000 Bücher zum Thema Vertrauen an. Wenn aber allgemein viel über ein Thema gesprochen wird, bedeutet das in der Regel nicht, dass alles in Ordnung ist, sondern dass sich hier ein Problemfeld auftut. Das Vertrauen ist in der Krise, darum beschwören wie es so intensiv und lautstark. Zu wem haben Sie noch Vertrauen?

Zur Kirche? Zur Politik? Zu den Medien? Zur Wirtschaft? Zur Nationalmannschaft? Zur Demokratie? Der Index des Vertrauens-Ranking hat augenblicklich einen Tiefpunkt erreicht: Misstrauen gegen Institutionen und ihre Vertreter bestimmen heute nicht nur die Stammtischdebatten, sondern füllen täglich die Nachrichten unserer Tageszeitungen und die Talkshows in allen Formaten.  Wie soll man in einer Zeit von Fake-News und durch KI generiertet Informationen irgendwem Vertrauen schenken?

Warum tun wir uns so schwer mit der Fähigkeit des Vertrauens? Für mich gibt es drei naheliegenden Erklärungen.

Wir sammeln so viele Informationen, die sich oft widersprechen, dass wir unsicherer werden, was wir glauben können. Früher hat sich die Nation getrennt in die, die man um 19.00 Uhr nicht anrufen durfte, weil sie die Heute-Nachrichten gesehen haben, und die, die man um 20.00 Uhr nicht ansprechen durfte, weil sie die Tagesschau gesehen haben. Heute beziehen wir aus einer unüberschaubaren Flut von Quellen Nachrichten, die wir gar nicht mehr auf ihren Wahrheitsgehalt prüfen können.

Vertrauen hängt mit Vertraut sein zusammen. Wen ich kenne, den kann ich einschätzen und wissen, ob ich ihm vertrauen kann oder nicht. Wir leben auch in unserer Kleinstadt nicht mehr in den Zeiten, in der jeder jeden kennt. Mancher erinnert sich noch an alle Namen der gleichaltrigen Kinder in Bereich um das Schloss oder in der Vorstadtstraße oder rund um den Kirchplatz. Man kannte sich, d.h. nicht, dass man sich zwingend auch gemocht hat. Heute kenne ich mitunter den Namen der Nachbarn nicht. Wir sind nur noch wenigen Menschen vertraut und nur ihnen können wir auch vertrauen: Deswegen werden auch „die da oben“ oft per se als nicht vertrauenswürdig abgestempelt: Sie kennen „uns“ nicht und wissen nichts von unseren Sorgen und unserem Leben. Ob das so stimmt, sei dahingestellt, aber es wird so wahrgenommen.

Schließlich haben wir auch genau die gegenteilig Denkweise als die richtige Lebens-einstellung anerzogen bekommen. Nicht der Vorschuss an Vertrauen, sondern die grundsätzliche Infragestellung prägen das neuzeitliche Denken. Dumm ist, wer einfach gehorsam ist, klug, wer immer nachfragt und alles prüft. Das ist ein gute Haltung, denn wir sind denkende Menschen, aber die Aufforderung zur beständigen Misstrauen macht es uns sehr schwer, vorbehaltlos zu vertrauen.

Wie aber lernen wir neu Vertrauen, das doch so lebensnotwendig ist? Was ist eigentlich Vertrauen? Blinder Gehorsam? Naives Fürwahrhalten, was andere mir erzählen? Untertäniges Abnicken?

Was Vertrauen ist, lässt sich leicht ablesen an den gegenteiligen Begriffen.

Vertrauen ist das Gegenteil von Verzweiflung, Angst, Resignation, Nieder-geschlagenheit und Misstrauen, also eine umfassende Haltung des Mutes, im Zweifel nicht unterzugehen.

 

Diese Haltung fordert Jesus heute von den Jüngern und von uns. Ganz fair erscheint der Tadel Jesu an sein Jüngern nicht. Sie schweben in höchster Lebensgefahr. Sie, die erfahrenen Seeleute, sind mit ihrem Können am Ende. Das Boot läuft voll und es fehlt nicht mehr viel, dass es kentert. Dann aber wären sie angesichts der Heftigkeit der Stürme auf dem See nicht mehr zu retten. Sie haben sich in ihrer Not an den Richtigen gewandt. Ist das nicht schon ein Zeichen von Glauben? Aber ihr Hilferuf klingt wie ein Vorwurf, dass sich Jesus nicht um sie kümmert. Ist damit der Tadel an ihrem Kleinglauben berechtigt? Bevor wir in die Kritik an den feigen Jüngerinnen und Jüngern einstimmen, müssen wir auf die Menschen schauen, für die Markus sein Evangelium schreibt, letztlich auch auf uns. Wir haben gegenüber den Jüngern einen Wissensvorsprung: Wir wissen sicher, wer Jesus ist und wie sein Weg ausgeht. Er bleibt nicht im Tod, sondern wird von den Toten auferweckt. All das können die Jünger auf dem See nicht wissen. Sie haben zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal eine Ahnung, dass sie der Weg nach Jerusalem unter das Kreuz führen wird. Sie haben Jesus als Heiler und Prediger erlebt, aber jetzt geht es um eine lebensbedrohliche Situation, in der sie selbst keinen Ausweg sehen. Das Markus-evangelium will österlich verstanden werden, d.h. alles wird auf der Folie von Ostern erzählt. Seine Leserinnen und Leser und wir wissen nicht nur, dass Jesus von den Toten auferstehen wird, sondern auch, dass er seinen Jüngerinnen und Jünger nach der Auferstehung zurück nach Galiläa in die Heimat, also wieder an den See, schicken wird. Markus, der heute von der panischen Angst der Jünger im Seesturm berichtet, nimmt uns mit dem Wissen von Ostern an den Ort des Ereignisses zurück und sagt Rückblick, dass es gut ausgehen musste. Das wissen die Jünger auf dem See nicht. Es geht Markus auch nicht zuerst darum, den schwachen Glauben der Jünger zu demaskieren, sondern den nachösterlichen Jüngerinnen und Jünger Jesu in seiner Gemeinde am Ufer des Sees die Mahnung mitzugeben, nicht an Jesus zu zweifeln. Heutige Israelpilger können sich da einreihen. Denn traditionell zur Wallfahrt ins Heilige Land gehört die Ausfahrt mit einem Fischerboot auf den See Genezareth. In der Mitte des Sees wird dann der Motor ausgeschaltet und die Gruppe hört auf den Abschnitt des Markusevangeliums. Natürlich befindet man sich nicht Seenot, aber auch der Pilger wird erinnert, dass er es nicht nur mit einer historischen Erzählung zu tun hat, sondern in der eigenen Erfahrung, dass ihm das Wasser bis zum Hals steht, nicht den Glauben verlieren soll.  Jünger und Jüngerinnen Jesu wagen den Mut des vorbehaltlosen Vertrauens und tiefen Glaubens, die auch im Untergang nicht zerstört werden können.

 

Man kann das heutige Evangelium nicht hören, ohne dass ungewollt die Bilder der Unwetter und der Hochwasserschäden im Herzen aufsteigen. Wasser ist ein zwiespältiges Element. Wir brauchen es zum Leben und gleichzeitig kann es Leben bedrohen. Wir klagen über anhaltende Dürre und immer häufiger brechen Unwetter herein, die viele Menschenleben kosten.  Am Wasser leben, an einem Fluss wohnen oder sich im Sommer im Badesee erfrischen gehört zu den höchsten Vergnügen und in der Regel denken wir nicht daran, dass dieselben Flüsse schon immer über die Ufer getreten sind und Menschen die Existenz geraubt haben, wie die Hochwassermarken in der Fischerstraße erinnern lassen. Nicht erst seit der verheerenden Hochwasserkatastrophe in West- und Mitteleuropa im Juli 2021, die allein im Ahrtal 135 Menschen das Leben raubte, wissen wir, wie schnell das freundliche Element Wasser zur Chaosmacht werden kann, die alles niederreißt und auslöscht.

Es klingt fast schon zynisch, aber man kann fast sagen: Pünktlich zu einer Wahl kommt eine Hochwasserkatastrophe, in der sich Politiker in Gummistiefeln als Helfer und Tröster fotogen in Szene setzen. Es ist wichtig, dass unsere Politikerinnen und Politiker vor Ort sind, wenn Menschen solches unerwartetes Leid schultern müssen. Wichtiger aber ist noch, dass man aus diesen Ereignissen Lehren zieht und nicht auf die Katastrophen-Demenz der Öffentlichkeit setzt. In der augenblicklichen Krise den Menschen nahe sein und Hilfe zusagen, danach aber wirksame Schutzmaßnahmen für die Zukunft entscheiden, das ist die Grundlage für Glaubwürdigkeit und schafft Vertrauen. Die Menschen, die weinend im Schlamm stehen und die Trümmer ihrer Häuser wegräumen, brauchen sicher nicht als erstes Wort eines Politikers die Frage, ob sie denn versichert sind. Sie wollen, dass ihnen jemand zuhört. Danach aber müssen Entscheidungen über Maßnahmen getroffen werden. Nur so kann Vertrauen durch Empathie und kluge Politik entstehen. Leider versandet der zweite Schritt nur zu oft in den Fängen der Bürokratie, Rechtsvorschriften, Lobbyinteressen und knappen Mitteln. Aber nur wer hilft, kann auch künftig auf Vertrauen hoffen. Das ist nicht als Bashing gegen Politikerinnen und Politiker gemeint, sondern ein Grundsatz, der für alle gilt, die das Vertrauen von Menschen in verschiedenen Krisen und Notlagen gewinnen wollen, also v.a. auch für die Kirchen. Gute Worte und Schulten, an denen Menschen sich ausweinen könne, sind wichtig, aber sie fordern auch einen aktiven Einsatz für Trauernde, Verängstigte, Geflüchtete und Menschen, die den Boden unter den Füßen verloren haben. Kirche, die Vertrauen gewinnen will, muss v.a. ein Haus der offenen Türen sein für die vielfältige Not der Menschen und sie darf weder den Eindruck erwecken, dass sie nichts erschrecken kann, noch panische Untergangsstimmung verbreiten. Kirche setzt sich aus Jüngerinnen und Jüngern Jesu zusammen, die wie die erfahrenen Fischer auf dem See in Not geraten können. Sie dürfen auch Gott anfragen und zeigen, dass sie oft keine Erklärung haben für das Leid, das geschieht und das Gott ganz offensichtlich zulässt. Aber sie dürfen niemals  das Grundvertrauen in Gott als Herrn über Leben und Tod verlieren. Wenn wir dieses Vertrauen nicht mehr ausstrahlen, dann verlieren wir uns in Angst, Resignation und Abschottung. Dann können wir gar nicht anders als der Welt, den Menschen und der Zeit misstrauen und uns einigeln in eine Festung der Seligen, die aber nach und nach zerbrechen wird. Keine Durchhalteparolen, aber Worte der Zuversicht aus dem Vertrauen, dass Gott nahe ist und die Chaosmächte bändigen kann, darin drückt sich Zeugnis für den Glauben aus.

Wir müssen uns nicht in einer martialischen Glaubenshaltung zwingen, wie es in einem alten Lied zum Ausdruck kommt, das zwar sehr beliebt war, aber aus Gründen der politischen Korrektheit aus dem Gotteslob verbannt wurde, aber immer noch gerne von vielen Gläubigen mitgesungen wird: „Zieh an die Macht, du Arm des Herrn. Wohlauf und hilf uns streiten. Noch hilfst du deinem Volke gern, wie du getan vorzeiten. Wir sind im Kampfe Tag und Nacht, o Herr, nimm gnädig uns in Acht und steh uns an der Seiten.“ Wir befinden uns nicht im Krieg gegen eine böse Welt, aber das Ringen um den rechten Weg und um Festigkeit in vielen Anfechtungen ist doch eine bleibende Herausforderung. Vertrauen aber kommt für mich zum Ausdruck in der dritten und abschließenden Strophe, in der wir singen:

„Herr, du bist Gott! In deine Hand o lass getrost uns fallen. Wie du uns Hilfe zugesandt, so hilfst du fort noch allen, die dir vertraun und deinem Bund und freudig dir von Herzensgrund ihr Loblied lassen schallen.“

Das Vertrauen in Gott braucht einen langen Atem, das müssen wir uns eingestehen, aber unsere Erfahrungen mit ihm zeigen, dass wir uns auf ihn verlassen können. Es geht meist nicht so, wie wir uns es vorstellen und es bleiben viele Geheimnisse, aber auch in der tiefsten Not können wir eben doch nicht tiefer fallen als in Gottes Hände. Wenn wir davon ehrlich Zeugnis geben, dann können wir Menschen helfen, selbst aus einem oft in den Kinderschuhen steckengebliebenen Glauben an den immer guten Gott zu einem starken Vertrauen in Christus zu wachsen, an dem auch ich zweifeln kann, aber immer wieder zurückfinde zur Sicherheit, dass er mich nicht im Stich lässt und hilft, so dass ich das Leben wagen kann ohne Angst. Amen. (Sven Johannsen)

12 Vertrauen wagen 2024