Predigt 10. Sonntag JK B „Lästern wider den Heiligen Geist“

Liebe Schwestern und Brüder

 

„Einfach das Evangelium nacherzählen“ -das ist die Todsünde des Predigers. Nichts ist langweiliger für die Gemeinde als noch einmal das Gehörte in fast ähnlichen Worten vorgetragen zu bekommen. Aber heute will ich genau das unternehmen, da der Abschnitt aus dem Markusevangelium, der dominiert wird vom missverständlichen Begriff der „Sünde wider den Heiligen Geist“ und der schroffen Zurückweisung der eigenen Familie, nicht nur sperrig, sondern auch verwirrend für viele Hörerinnen und Hörer erscheint, wie ich es beim Bibelkreis am vergangenen Montag heraushören konnte. Lassen Sie mich also das heutige Evangelium ein wenig anders und interpretierend ein zweites Mal erzählen:

Jesus wird zum Superstar in Galiläa. Über keinen Menschen wird mehr geredet und berichtet. Er heilt alle Krankheiten bzw. – im damaligen Sprachgebrauch – treibt Dämonen aus und verkündet eine ganz neue Art der Beziehung zu Gott als dem guten und liebenden Vater. Für ihn ist das Reich Gottes nicht fern im Himmel und eine Vertröstung für die Zukunft, sondern ereignet sich schon jetzt im Leben der Menschen und soll gerade für die Armen, den Schwachen und Kranken eine Erfahrung der Befreiung werden. Er ruft nicht zur Rebellion auf, aber er zeigt, dass die bestehenden Machtstrukturen und die Trennung zwischen Reich und Arm nicht dem Willen Gottes entsprechen und geändert werden müssen. Nicht nur in Kafarnaum und rund um den See Genezareth verbreitet sich sein Ruf als Heiler, Prediger und Lehrer immer stärker, selbst in der fernen Hauptstadt Jerusalem werden die religiös und politisch einflussreichen Kreise um die Sadduzäer und Hohepriester auf ihn aufmerksam. Sein Wirken und seine Botschaft machen die führenden Köpfe des Landes nervös. Bisher konnte man alle Spinner, die sich selbst zum Messias und Befreier Israels erklärt haben, getrost den Römern überlassen, die sie über kurz oder lang aus dem Weg geräumt haben, aber der Wanderprediger im Norden ist anders. Seine Botschaft ist nicht zuerst Politik oder gar Aufruf zum Umsturz, sondern trifft die DNA jüdischen Glaubens: Gott ist ein Gott mitten unter den Menschen, ein Gott, der Israel befreit von Sklaverei und Abhängigkeiten wie damals in Ägypten durch Mose, und ein Gott, der soziale Verantwortung einfordert wie durch die Propheten in der Königszeit Israels. Kein Wunder, dass sie unruhig werden und sich zum Handeln gezwungen sehen, aber zunächst muss man wissen, was von den Berichten über die neue Heilsgestalt im fernen Norden zu halten ist. Abgesandte werden auf den Weg geschickt, die den jungen Mann beobachten, Bericht erstatten und ein Urteil finden sollen.

Die Stimmung in Kafarnaum ist auf dem Höhepunkt. Menschenmassen drängen sich um Jesus. Er scheint unangreifbar und für viele ist er ohne Zweifel der erwartete Messias. Er heilt nicht nur Menschen, Gelähmte, Blinde und Depressive, sondern setzt sich dabei auch noch über das strenge Gebot der Ruhe Sabbat hinweg, ja er erklärt sich sogar zum Herrn über den wöchentlichen Ruhetag. Aber die Schriftgelehrten müssen sich eingestehen, dass alles, was sie von den Taten Jesu gehört haben, der Wahrheit entspricht. Nichts ist erfunden, das sehen sie jetzt mit eigenen Augen: Keiner der bei ihm Hilfe sucht, geht enttäuscht heim. Was ist davon zu halten? Es passt nicht in ihre Vorstellung, dass hier Gott am Werk sein könnte. Denn dann müssten sie sich ja nach der Predigt Jesu richten, die eine neue Ausrichtung am Willen Gottes verlangt, v.a. einen stärkeren Glauben und ein Handeln zum Wohl der Armen und Schwachen. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Also bleibt nur ein Schluss übrig: Nicht Gott, sondern der Teufel ist am Werk. Mit der höchsten Macht des Bösen im Bunde besiegt Jesus die untergeordneten Dämonen, so ihr Urteil, mit dem sie zufrieden nach Jerusalem zurückkehren können, weil sie den angeblichen „Messias“ widerlegen und ihre eigene Stellung festigen können. Doch so einfach geht es nicht. Jesus schlägt sie mit dem gesunden Menschenverstand. Sie, die Gelehrten aus dem Machtzentrum in Jerusalem, wissen besser als alle anderen, wie schnell das mächtige Reich des Königs Herodes nach seinem Tod im Jahr 4 v. Chr. zerfiel, weil es von den Römern mehrfach unter seinen Söhnen und Verwandten aufgeteilt wurde. Und sie, die wahrscheinlich aus den siebzig mächtigen und besitzenden Großfamilien des Landes stammen, wissen auch, dass Familienclans nur dann ihren Einfluss behalten, wenn sie Geschlossenheit bewahren. Diese Logik sollte dem Satan nicht bekannt sein? Nur Einigkeit sichert Macht und Bestand, so das Grundgesetz für jede Institution und jede Herrschergruppe. Sie argumentieren wider besseres Wissen. Nicht mit dem Teufel geht Jesus ans Werk, sondern mit dem, der ihm bei der Taufe am Jordan als „seinen geliebten Sohn“ bestätigt und auf ihn seinen Heiligen Geist gelegt hat. Zu leugnen, dass in den Taten und Worten Jesu der Vater wirkt, ist nicht nur dumme Verstocktheit, sondern bösartiges Lästern widern den Heiligen Geist. Gott ist großzügig und nicht nachtragend, aber wer sein Wirken in böser Absicht nicht wahrnehmen will, der setzt sich ins Unrecht. Damit sind die Schriftgelehrten, die sich vor anderen als die wahren Verkünder des Willens Gottes aufspielen und für sich Unangreifbarkeit in Glaubensfragen fordern, in aller Öffentlichkeit bloßgestellt und herausgefordert, zu reagieren. Schon vorher war der Entschluss, nach einer Gelegenheit zu suchen, Jesus aus dem Weg zu räumen, im Raum gestanden, jetzt wird er zum Urteil, das sich in Jerusalem erfüllen wird.

Auch 45 km weiter westlich in der Bergstadt Nazareth ist die Kunde von Jesus schon lange angekommen. Von Haus zu Haus erzählt man sich von dem berühmten Sohn der Stadt, von seinen Predigten und Wundern, aber auch davon, dass er seiner Verantwortung gegenüber seiner Familie als Erstgeborener nicht gerecht wird. Jetzt eskaliert der Streit mit den Schriftgelehrten und die Familie sieht sich zum Handeln gezwungen, um Jesus und sich selbst zu schützen. Wer kann in der Familie schon einen „Spinner“ brauchen, der nur Ärger schafft? Also auf nach Kafarnaum und dem Theater ein Ende bereiten! Der „Junge“ muss heim, denn dort hat man ihn unter Kontrolle. Er muss schließlich auch Rücksicht nehmen auf die Familienangehörigen, die sich wegen seiner Streitigkeiten mit Pharisäern und Schriftgelehrten ebenfalls den Zorn der Mächtigen zuziehen und zu Außenseitern werden. Markus nimmt keine Rücksicht auf die hohe und bedeutende Stellung, die später Maria und andere Verwandte Jesu wie z.B. der Herrenbruder Jakobus in der frühen Gemeinde genießen. In seinem Evangelium steht die Familie anfangs auf Seiten der Gegner Jesu. Er lässt ihren Plan, Jesus unter Kontrolle zu bringen, nicht nur ins Leere laufen, sondern nutzt die Gelegenheit, um den Begriff von Familie neu zu bestimmen: Für ihn zählt nicht mehr die leibliche Familie, sondern die Menschen, die sich als gemeinsame Kinder des einen Vaters, Gott, verstehen und sich an seinem Willen ausrichten. Das schließt Angehörige der leiblichen Familie Jesu nicht aus, v.a. nicht Maria, aber es legt fest, dass die Beziehung zu Jesus ganz geprägt ist von der Verbindung zu Gott. Ab jetzt gibt es ein „drinnen“ (im Haus der neuen Familien Jesu) und ein „draußen“ (die Gegner vor dem Haus). Jeder muss sich entscheiden.

Ich habe Ihnen nun lange das Evangelium nacherzählt und interpretiert, um die Zusammenhänge klarer erscheinen zu lassen. Aber es geht ja nicht nur um das Verstehen des Textes, sondern immer auch um die Frage, was das Evangelium für mein Leben sagen will.

Greifen wir die missverständliche Passage vom „Lästern wider den Heiligen Geist“ auf, dann finden wir dort auch eine Aussage über unsere Verantwortung vor Gott. Wir müssen nicht skrupulös ständig unser Leben prüfen in der Panik darüber, was wir wieder falsch gemacht haben. Wir sind fehlerhafte Menschen und werden nie perfekt sein. Natürlich sollen wir uns bemühen, gerecht und verantwortungsvoll zu leben, aber wir müssen nicht ständig Angst haben vor jedem Fehler. Gott vergibt gern und großzügig. Aber nicht erkennen wollen, dass er in unserer Welt und in unserem Leben am Werk ist, trennt uns nachhaltig von ihm, weil eine solche Haltung dem Heiligen Geist nicht zugestehen will, dass er eingreift, uns zum Guten leiten will und in dieser Welt Menschen befähigt, Ungerechtigkeit und falsche Machtstrukturen zu verändern. Den Heiligen Geist lästern heißt für mich, sich der Einstellung zu ergeben, dass nichts zu ändern ist und die Dinge hingenommen werden müssen, wie sie sind. Gott wirkt auch heute und es ist die tägliche Herausforderung des Glaubens, seine Spuren in meinem Leben und in der Welt zu entdecken und über seinen Willen nachzudenken.

Dann gehöre ich zur Familie Gottes, zu den glaubenden, liebenden und hoffenden Menschen, die sich im dreifaltigen Gott festmachen und so in dieser Welt leben. Wir nennen uns Brüder und Schwestern, nicht weil wir uns alles sehr lieben. Eine solche Vorstellung verkennt romantisch verklärend die Wirklichkeit. Wir haben unterschiedliche Prägungen, Vorstellungen und Haltungen, so dass wir sogar mitunter streiten, aber wir bleiben miteinander verbunden in der Überzeugung, dass wir gemeinsame Kinder des einen Vaters sind und er durch uns in der Welt wirken will. Amen.            (Sven Johannsen)

10 Sünde wider den Heiligen Geist