Predigt Fronleichnam 2024 „Die Gottglaub-Party“

Predigt Fronleichnam 2024

Die Gottglaub-Party“

Liebe Schwester und Brüder

Die Gottglaub-Party“ – wahrscheinlich werden Sie diesen Ausdruck noch nie gehört haben, aber ich finde ihn sehr passend für den heutigen Tag. Die Theologin und Mutter Johanna Beck erzählt in einem Artikel für die Zeitschrift Christ in der Gegenwart (Johanna Beck; Agape mit der Familie – die „Gottglaub-Party“ in: CiG 15/2024) von einem Ritual, das ihre Familie seit der Corona-Pandemie entdeckt und lieb gewonnen hat. In der Zeit der geschlossenen Kirchen und der Messfeiern unter Ausschluss der Öffentlichkeit entdeckten einige Christen für sich die alte Tradition der Agape-Feier wieder.

Von Anfang an war die Feier des Herrenmahls mit einem anschließenden Liebes- oder Sättigungsmahl, der Agape-Feier, verbunden, die alle Grenzen von sozialen Schichten, Geschlechtern und Hierarchien überwand. Die Einheit zwischen Eucharistie und Agape war ein fester Bestandteil in der Feier der frühen Christen, auch wenn es mitunter Probleme gab, weil das Ideal der Gleichheit eben nur Theorie blieb, wie es z.B. Paulus in seinem ersten Korintherbrief kritisiert. Erst als mit der Zeit die Feiern in unangemessener Weise ausuferten, verzichtete der Westen auf die Fortsetzung der Eucharistie im Liebesmahl. Die östliche Liturgie hat sich die Tradition zumindest teilweise im sog. Ritus der Artoklasia mit gebrochenem Brot, Öl, Äpfeln, Wasser und Gesang z.B. nach Vespern bewahrt.

Mit dem II. Vatikanischen Konzil hat auch die römisch-katholische Kirche die Agape wieder neu entdeckt und v.a. für ökumenische Feiern gefördert. Letztlich aber führte sie lange ein Nischendasein. In Kreisen junger Familien hat sich das mit den Erfahrungen der letzten Jahre ein wenig geändert. Der Lockdown in Verbindung mit geschlossenen Kirchentüren hat einen Teil der Gläubigen veranlasst, verstärkt den Gottesdienst über TV oder Internet mitzufeiern. Manche haben sich so daran gewöhnt, dass sie nach dem Ende der Pandemie ihren Platz beim ZDF-Fernsehgottesdienst in der ersten Reihe nicht aufgeben wollen. Wir haben ja selbst in Lohr erlebt, wie dankbar gerade ältere Menschen für dieses Angebot sind und wie förderlich es ist, um unsere Botschaft sehr weit tragen zu können. Andere, die die Gemeinschaftserfahrung und das Erlebbare der Feier vermissten, haben ihren Platz nicht vor Bildschirmen gefunden, sondern sich auf die Suche nach neuen bzw. verschütteten Formen des Feierns gemacht und sind in der Tradition der Agape fündig geworden. Johanna Beck beschreibt den Weg ihrer Familie so:Auch ich habe in der Zeit der Lockdowns das Gemeinschaftliche und Haptische des Gemeindegottesdienstes vermisst und aus diesem Grund sowie aus spiritueller Experimentierfreude heraus beschlossen, ein solches Liebesmahl einmal im Kreise unserer Familie auszuprobieren – mit großem und nachhaltigem Erfolg. Die gemeinsame Feier hat uns als Familie gerade in diesen unsicheren und belastenden Zeiten so gutgetan, uns Gott, unserem Glauben und einander wieder nähergebracht, dass wir diesem (etwas individuell auf uns zugeschnittenen) Mahl bis heute treu geblieben sind. (CiG 15/24)

Sie berichtet, dass die Familie sich einmal im Monat an einem Samstag- oder Sonntagabend in der Küche um den Esstisch versammelt, miteinander Brot backt, den Tisch bereitet, Kerzen entzündet, Taize-Lieder sind und aus der Kinderbibel liest. Später wird der fertige Laib Brot in die Mitte gelegt und in Erinnerung an Jesu Worte im Abendmahlsaal gebrochen und geteilt. Familie und Freunde tauschen sich aus, haben Zeit füreinander und geben sich zum Abschluss Segenswünsche mit auf den Weg.

Johanna Beck schildert ihre Erfahrung: Über dem gebrochenen Agape-Brot können wir im Geiste Jesu zusammenkommen, uns über Glaubensfragen austauschen und uns seelisch wie körperlich für die neue Woche stärken. Hier ist das Herzzentrum unserer Familie. Allerdings nennen wir unser Ritual schon lange nicht mehr Agape, sondern es trägt einen neuen – wie ich finde, mindestens genauso schönen – Namen, den wir unserer Jüngsten zu verdanken haben: Als wir beim ersten Lockdown gerade ein paar Mal zur Begeisterung aller unsere Mahlgemeinschaft ausprobiert hatten, kam unsere damals vierjährige Tochter zu mir und fragte: „Mama, wann machen wir eigentlich wieder unsere Gottglaub-Party?“ Und diese wunderbare und treffende Bezeichnung ist seitdem geblieben.

Man mag das als unzulänglich und nicht-sakramental kritisieren. Sicher wird auch die Frage aufkommen, ob das nicht eine unerlaubte Nachahmung der Eucharistie ist und die Familien vom „normalen“ Gottesdienst der Gemeinde entwöhnt werden? Ich kann mir vorstellen, dass mindestens die gleiche Chance besteht, Kinder und Erwachsene so einen besseren Zugang zum Verständnis der Eucharistie finden zu lassen. Kein Zweifel, dass diese Feier keine Alternative zur Eucharistie sein kann, aber in der „Gottglaub-Party“ erlebt zumindest die kleine Tochter die beiden wesentlichen Elemente, die auch unsere Feier der Messe prägen (sollen): Die Annäherung an das Geheimnis, dass Gott in unserer Mitte ist, und die Freude am gemeinsamen Erleben des Glaubens.

Der Gedanke „Gottglaub-Party“ als Verständnishorizont für die Messfeier ist nicht nur kindgerecht, sondern kann auch uns in unserem Bemühen helfen, die Eucharistie stets in der Mitte unseres eigenen Glaubens und des Gemeindelebens zu halten. Ich bin überzeugt, dass uns alle Struktur- und Personalpläne nichts nutzen und dass alle Events nichts fruchten, wenn wir als Kirche nicht die Eucharistie wieder stärker in Zentrum rücken und uns bemühen, die Liturgie ins Leben hineinzuholen. Die Heilige Messe ist das Fest unseres Glaubens an Gott und unseres Lebens mit Gott, also zum einen geprägt davon, dass Gott erfahrbar wird und zum anderen freudig erlebt als wirkliche Feier, die bewegt und berührt.

An diesem beiden Punkten entscheidet sich m.E. liturgische Qualität:
1) Ist es die Feier, in der Gott uns begegnen kann?

2) Ist es ein Fest, auf das ich mich freue und das mich erhebt?

Der Liturgiewissenschaftler Marco Benini aus Trier hat eine sehr treffende Formel für eine „qualitativ hochwertige“ Liturgie gefunden: „einfach, aber nicht zu einfach; geheimnisvoll, aber erschließbar…“ (vgl. Die Tiefe und den Reichtum der Eucharistie erschließen“ in CiG 23,2023)

Eine Liturgie, die nicht meine tiefsten menschlichen Fragen, Hoffnungen und Sorgen anspricht, die mich letztlich überfordert, weil sie akademisch und blutleer geworden ist, berührt mich nicht und wird niemals Echo in meiner Lebensgestaltung finden können. Liturgie ist immer mehr als private Frömmigkeit, sie ist auch Ausdruck der feiernden Gemeinschaft. Dazu gehört auch das Bemühen um eine Predigt, die das Gehörte und Gefeierte ins Leben hinein erschließt. Dazu gehört eine Atmosphäre, eine Raumgestaltung und eine menschliche Willkommenskultur, in der der Einzelne sich in der Gottesdienstgemeinde aufgehoben fühlt. Marco Benini argumentiert: „Empirische Studien zeigen, dass Menschen Liturgie als „besser“ wahrnehmen, wenn sie sich beheimatet fühlen.“ Deswegen muss sie nah am Leben und einfach sein, so dass alle innerlich teilnehmen können. Sie darf aber nie banal werden, so dass ich mich nur unterhalten fühlen oder sogar schlimmstenfalls gelangweilt werde.
Sie muss geheimnisvoll sein, denn Gott bleibt uns entzogen. Aber er, der unsichtbare und gewaltige Gott tritt erlebbar mit uns in Beziehung und durchformt unser Leben. Der Charakter des Mysteriums wird auf zwei Ebene in der Liturgie ablesbar:

  • Feiern wir mit Würde und mit Überzeugung oder absolvieren wir eine Pflichtveranstaltung? Sie merken es dem Zelebranten aber auch den Lektorinnen und Lektoren an, ob sie sich mit dem, was sie tun oder lesen, auseinandergesetzt haben und es mit innerer Teilnahme vollziehen bzw. verkünden. Auch die, die in der Liturgie Dienste übernehmen, habe Fragen, aber in ihrem Handeln und Sprechen wird schnell erkennbar, ob sie grundsätzlich hinter der Sache stehen oder nicht. Wir müssen es auch gut machen, auch wenn wir wissen, dass davon nicht der Kern der Feier abhängt. Im Gegenteil soll hinter unserem Tun und unseren Riten die Wirklichkeit Gottes aufleuchten.

  • Das Zentrum jeglichen Gottesdienstes ist nicht das menschliche Tun, sondern die Begegnung mit Gott, die er uns schenken will. Nochmals verweist Benini darauf: Das ist ja letztlich das, was Liturgie überhaupt will: Sie soll uns vom Sichtbaren zum Unsichtbaren führen. Oder anders gesagt, sie will Gott in unseren Raum und unsere Zeit hineinbringen.“ Liturgie ist dann gut, wenn die Begegnung mit dem lebendigen Gott, die nirgends so intensiv sein kann wie im Hören auf sein Wort und der Feier seiner Gegenwart im österlichen Sakrament, uns, nicht nur mich allein, für das Leben ermutigt.

Es ist die ständige Aufgabe einer Gemeinde und der ganzen Kirche, die Eucharistie immer neu in die Mitte rücken, denn sie ist nicht Pflichtübung eines getauften Christen, sondern Herzkammer unserer Gemeinde und des Glaubens jedes Einzelnen. Ich bin der Meinung, dass Erfahrungen wie die „Gottglaub-Party“ nicht nur für Kinder, sondern auch für Erwachsenen einen guten Zugang zur Messfeier als Quelle und Höhepunkt allen kirchlichen Tuns eröffnen kann, wenn wir uns entsprechend mühen, unseren Teil zur Feier der Liturgie gut einzubringen.

Wie die Familie sich um den Tisch versammelt und beim Brechen des Brotes in den Austausch kommt und Versöhnung findet, so dass die Kinder sich auf die nächste Feier freuen, so soll unsere Eucharistie nicht nur liturgisch und dogmatisch richtig sein, sondern Gott in unserer Mitte erfahrbar werden lassen und Gemeinschaft unter uns stiften. Unrealistisch ist das nicht: Ich glaube wirklich, dass viele von uns sich auf die Feier des Glaubens mit anderen freuen, Sonntag für Sonntag, manchmal Tag für Tag. Ich höre immer wieder die Worte: „Ohne Messfeier ist es für mich kein Sonntag“ Und ich bekomme die Rückmeldung, wenn Menschen sich von der Kirchenmusik oder der Predigt besonders angesprochen fühlen. Wir können also unseren Gottesdienst als Fest des Glaubens erleben. Voraussetzung dafür ist auch der Wille, das an uns geschehen zu lassen.

Es wäre ein großes Geschenk und ein wichtiger Schritt für die Zukunft unserer Gemeinden, wenn die Eucharistie als „Gottglaub-Party“ das einende Element unser Gemeinschaft bleibt und noch deutlicher zum Ausdruck kommt. Denn hier brennt unser Herz wie das der Emmausjünger, so dass wir dem Auferstandenen wirklich begegnen und uns vom ihm stärken lassen können. Amen.

Sven Johannsen, Pfarrer