Liebe Schwestern und Brüder
Punktlandung – in diesem Jahr, geschuldet oder verdankt dem frühen Ostertermin, blühen sie genau zur richtigen Zeit: Märzenbecher, Trompetennarzissen oder bei uns besser bekannt als die Osterglocken. Sie gehören zu den ersten Frühjahrsboten der Natur und schon ihr äußeres Erscheinungsbild, das ihnen den landläufigen Namen „Osterglocken“ bescherte, macht sie zu einem österlichen Symbol. Natürlich wächst bereits mehr im Garten und auf der Wiese, aber die Größe und das leuchtende Gelb ihrer Blüten machen sie zu einem der auffälligsten Siegeszeichen über den Winter. In diesem Jahr sind sie wirklich die Osterblumen: Heute sind größtenteils mit ihnen unsere Kirchen zum Osterfest geschmückt. Auf den Tischen stehen sie als Zeichen des Festes. Sie können uns aber auch die Osterbotschaft näher erschließen:
- Die Osterglocke ist Botin der Auferstehung und des ewigen Lebens.
Sie blüht im März und April, also in der Osterzeit, in unseren Gärten und Anlagen. Die übrige Zeit des Jahres ist sie nicht zu sehen. Wenige Wochen nach der Blüte welken ihre Blätter und sie ist von der Oberfläche praktisch verschwunden, bis eben das nächste Osterfest kommt und sie wieder austreibt. Die Blumenzwiebel steckt die meisten Monate des Jahres unter der Erde, doch die Osterglocke ist nicht tot, sondern wächst unter der Erde zu neuem Leben heran, das dann ausbricht. Paulus nutzt in seiner großen Reflexion über den Glauben an die Auferstehung das Wachsen der Saat als Deutung für das österliche Geheimnis, das sich an uns vollziehen soll, und kommt zu dem Schluss: „So ist es auch mit der Auferstehung der Toten. Was gesät wird, ist verweslich, was auferweckt wird, unverweslich. Was gesät wird, ist armselig, was auferweckt wird, herrlich. Was gesät wird, ist schwach, was auferweckt wird, ist stark.“ (1 Kor 15,42f) Eine treffende Beschreibung für unser körperliches Leben: Wir kommen schwach in die Welt und gehen geschwächt. Viele ärgern sich über den Abbau der körperlichen Kräfte mit dem Älterwerden: Wir stehen nicht mehr in voller Blüte. Was uns einmal leicht fiel, kostet uns große Kraftanstrengungen. Wege, die wir früher in schneller Geschwindigkeit hinter uns gebracht haben, werden zur Herausforderung. Ja, unser Leib ist in Schwachheit gesät: Wir blühen auf und langsam schwinden die Kräfte, ein Prozess, den wir vielleicht hinauszögern, aber nicht verhindern können. Aber auch das, was wir verlieren, die Kräfte und Möglichkeiten, denen wir nachtrauern, sind nicht verschwunden. Paulus ist überzeugt, dass wir in der Auferstehung stärker werden. Das ist keine Abwertung unseres irdischen Lebens, sondern eine Zusage, dass am Ende nicht Sterblichkeit, Müdigkeit und Gebrechlichkeit stehen. Auferstehung ist kein ewiger Kreislauf, sondern das Aufblühen nach einem lebenslangen Hineinwachsen in Gottes Ewigkeit. Mein irdisches Leben mit allem, was es umfasst, Herz, Geist, Körper, ist die Blumenzwiebel für das ewige Leben. Darum hat Christus unseren menschlichen Leib angenommen, ist für uns gestorben und auferstanden, damit wir in seiner Ewigkeit blühen können.
- Die Osterglocke ermutigt uns zur richtigen Lebensentscheidung.
Ihr wissenschaftlicher Name ist vielsagend: „Narcissus Pseudonarcissus“, also „falsche Narzisse“. Das klingt etwas betrügerisch, könnte aber genau das Gegenteil bedeuten. Die Gattung der Narzissen verdankt ihren Namen einer Gestalt der griechischen Mythologie, dem Jüngling Narkissos. Der Dichter Ovid erzählt von ihm, dass er als Sohn einer Nymphe ein besonders schöner Jüngling war, der von vielen Menschen begehrt und geliebt wurde. Narziss aber verweigerte sich jedem, ob Mensch oder Gott, der sich in ihn verliebte. Einmal aber entdeckte er im Wasser sein eigenes Spiegelbild und verliebte sich darin, ohne zu erkennen, dass es nur eine Spiegelung war. Er versuchte das Objekt seiner Liebe, sein Bild auf der Wasseroberfläche, zu umarmen, konnte es aber nicht erreichen. Schließlich ertrinkt er bei diesem Versuch, sich selbst in die Arme zu schließen. Die Narzisse steht also auch für Eitelkeit und Eigenliebe. Wenn die gelbe Narzisse in ihrem lateinischen Namen gleichsam zum Widerspruch des Narzissmus wird, dann verkündet sie als „Osterglocke“ nicht den toten, eitlen Jüngling, sondern den auferstandenen, liebenden Christus. Österliches Leben kommt aus der Hingabe. Ostern feiern wir, weil Christus bereit war, konsequent bis ans Kreuz zu gehen und nicht in sich selbst verliebt war. Osterglocken, ob aus der Höhe unserer Kirchtürme klingend oder aus der Erde sprießend, verkünden nicht einen Gott, der um sich selbst kreist und gläubige Bewunderer braucht, sondern einen Gott, der ganz für sein sterbliches Geschöpf da ist. Österliches Leben ist niemals Leben für sich, sondern immer leben für andere. Paulus wird heute in der Lesung aus dem Brief an die Römer festhalten: Wir, die wir auf Christus Jesus getauft wurden, sind auf seinen Tod getauft worden. Wir wurden ja mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod, damit auch wir, so wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, in der Wirklichkeit des neuen Lebens wandeln… Sind wir nun mit Christus gestorben, so glauben wir, dass wir auch mit ihm leben werden.“ (Röm 6,3f) Uns ist das Los der Todes immer noch auferlegt, aber da heute Nacht nicht einer sein eigenes Leben retten wollte, sondern uns aus dem Dunkel des Todes gerissen hat, können wir mit ihm sterben und auferstehen.
- Die Osterglocke zeigt uns die Osterorte im Alltag.
Auch wenn die Osterglocke ihren festen Platz in unseren Gärten und Anlagen hat, war ihre ursprüngliche Verbreitung nicht durch Kultivierung bestimmt. Sie gilt heute noch in vielen Regionen als Wildpflanze. Sie wächst also nicht nur da, wo man sie bewusst einpflanzt, sondern kann unverhofft auf dem richtigen Boden gedeihen. Sie widersteht dem Versuch der Zähmung. Damit wird sie für mich zum natürlichen Osterboten. Österlichen Glauben und Hoffnung kann man pflanzen, aber nicht züchten. Sie kommen auch nicht immer da auf, wo wir das wollen, z.B. in Kirchen und Ostergottesdiensten, sondern wachsen unbemerkt und wild. Dafür gibt das Markusevangelium die beste Bestätigung. Er kennt ja keine Kindheitsgeschichte, sondern beginnt gleich mit der Verkündigung des Reiches Gottes. Voraus geht aber nach der Taufe Jesus sein Weg in die Wüste, einem Todesort. Das Markus-Evangelium wird auffallend stark von der Leidensgeschichte beherrscht, so dass man das älteste Evangelium manchmal als „Passionsgeschichte mit ausführlicher Einleitung“ bezeichnet hat. Startet das Evangelium in der Wüste, führt uns die Passions- und Osterzeit auf den Friedhof, ans Grab Jesu. Wüste und Grab haben scheinbar klare Botschaften: Sie sind Orte des Todes (vgl. Hans-Georg Gradl in Anzeiger für die Seelsorger 4/2004). Aber gerade hier siegt das Leben. In der Wüste wird sich Jesus nicht auf die Versuchung eines bequemen Lebens einlassen, das am Ende keine Spuren hinterlässt. Am Grab werden die Frauen Zeugen der Osterbotschaft, obwohl sie Jesus selbst gar nicht sehen, sondern nur die Worte des Engels hören. Sie sehen das leere Grab, aber das ist kein Beweis für die Auferstehung. Der Engel schickt sie an einen anderen Ort, heim nach Galiläa, dorthin, wo alles angefangen hat und wo v.a. ihr Leben seinen gewohnten Platz hatte. Sie alle waren Menschen, die einen Alltag kannten, ob als Geschäftsfrauen am See, als Mütter, Ehefrauen oder Mitglied einer Dorfgemeinschaft. Sie sind Jesus nicht begegnet an Heiligtümern oder in Exerzitienhäusern, sondern auf den Straßen und in den Gassen, in denen sie arbeiteten, lebten und Menschen liebten, die ihnen wertvoll waren. Dort und nicht in kleinen elitären Zirkeln haben die Begegnung mit Jesus und seine Botschaft ihr Leben verändert und ihnen neue Möglichkeiten zum Leben eröffnet. Daher schickt sie der Engel zurück in diese Räume des Gewohnten, in denen gerade das Überraschende passieren kann. Ostern muss nicht hier in der Kirche zur verpflichtenden Erfahrung für alle werden. Wir können hier nur davon reden. Aber an welchem Ort es für jeden von uns Ostern wird, das kann sich ganz unverhofft und unerwartet ereignen. Vielleicht geschieht es tatsächlich auf einem Friedhof am Grab des Ehepartners, an dem in mir ganz plötzlich die Sicherheit aufkommt, dass wir einander nicht verloren haben, sondern miteinander reden können und verbunden bleiben. Vielleicht geschieht es in der Wüste der Einsamkeit, in der ich mich alleingelassen und unbeachtet sehe, in der mich ein Mensch anspricht, von dem ich es nicht erwartet haben und sich wirklich danach interessiert, wie es mir geht. Oder es entsteht ganz unerwartet im routinierten Familienalltag, in dem ich v.a. glücklich bin, wenn ich das tägliche Chaos bewältige, eine Atmosphäre der Geborgenheit und des Glücks, die mir zeigt, dass nicht nur ich mich für andere einsetze, sondern auch die anderen für mich da sind. Es ist wie ein modernes geistliches Lied sagt: „Manchmal feiern wir mitten im Tag ein Fest der Auferstehung.“
Ostern wächst wild, unerwartet und manchmal nur für einen Augenblick. Aber dieser Moment strahlt in mein Leben als Hoffnung hinein wie die Osterglocken jetzt in unseren Gärten und auf unseren Wiesen. Amen. Sven Johannsen, Pfarrer