Liebe Schwestern und Brüder
Sind wir nicht mehr als der Einsatz in einer undurchschaubaren kosmischen Wette? Liegt unser Geschick in den Händen eines zynischen Gottes, dem die eigene Ehre wichtiger ist als das Wohlergehen seiner Geschöpfe? Um nichts weniger geht es im Buch Hiob. Das Buch Ijob, aus dem wir heute lesen, legt eine erschreckenden Sicht auf das Verhältnis von Gott und Mensch offen.
Der Name des Protagonisten verrät schon, auf was sich der Leser einstellen muss: Hiob wird übersetzt „der Angefeindete“. Er selbst wird Gott fragen, warum er ihm zum Feind wurde. Es ist nicht sicher sicher, dass es sich bei Ijob um eine historische Person handelt. Der biblische Autor des Buches setzt in örtlich und zeitlich in die Nähe der großen Patriarchen Abraham, Isaak und Jakob, die mehr sind als die historischen Gründungsväter des Volkes Israels, vielmehr Vorbilder einer gelungen Beziehung zwischen Gott und Mensch. Sie durchschreiten alle Höhen und Tiefen des Menschseins, durchleben alle Abgründe der Schwäche und des Versagens, strahlen als starke Vorbilder des Glaubens und geben so den Menschen auf dem schwierigen Weg des Lebens ein sicheres Geländer, an dem sie sich festhalten können. Das Buch Ijob konzentriert sich auf eine Dimension des Lebens: das unerwartete Leid, das einen Menschen aus der Bahn werfen kann. Woher kommt es? Wer ist verantwortlich? Wie gehe ich damit um in meinem Glauben ?
Es ist eine schaurige Vorstellung, mit der das Buch Ijob aufmacht: eine Diskussion zwischen Gott und dem Satan über die Frage, ob der Mensch treu bleibt im Glauben, wenn sein Glück zerbricht. Ijob ist gerecht und fromm. Gott ist stolz auf ihn und verweist demonstrativ auf das Vorbild des Ijob, einem der reichsten Menschen der Erde. Er ist reich und gerecht, das allein scheint uns heute ja schon eine Ausnahme. Doch der Satan fordert Gott heraus: Ijob ist fromm, weil er reich ist und es ihm gut geht. Das Zwiegespräch mündet in einer zynischen Wette. Gott erlaubt dem Satan Ijob zu schaden, um so seine Treue zu prüfen.
Jetzt geht es Schlag auf Schlag: Hiobsbotschaft um Hiobsbotschaft suchen den armen Ijob heim, der nicht weiß, wie ihm geschieht. Er, der sich immer mühte, mehr als 100 Prozent zu geben im Dienst an Gott, wird ohne eigenes Verschulden zum Ziel für Nachstellung und Angriffe des Bösen. Mitten in die trügerische Atmosphäre von Glück und Wohlergehen bringt der erste Diener die Nachricht, dass die Sabäer die Rinder des Ijob geraubt und die Knechte erschlagen haben. Er hat noch nicht ausgesprochen, da stürmt schon der nächste Diener herein und berichtet von einem Feuer Gottes, das die Schafherde ausgelöscht hat. Er ist noch nicht mit seinen Worten an Ende und der dritte Diener muss die Botschaft überbringen, dass die Chaldäer die Kamele des Ijob erbeutet haben. Schließlich noch im Reden seines Vorgängers drängt der vierte Diener hinein und verkündet die schlimmste Hiobsbotschaft: Durch einen Sturm sind alle Kinder des Hiobs ums Leben gekommen. Von einem Augenblick zum anderen ist aus dem reichen und glücklichen Hiob ein armer und geschlagen Mensch geworden. Wie reagiert Hiob? Er steht auf und spricht die eindrucksvollen Worte:„Nackt kam ich hervor aus dem Schoß meiner Mutter; / nackt kehre ich dahin zurück. / Der HERR hat gegeben, der HERR hat genommen; / gelobt sei der Name des HERRN.“
Erlauben Sie mir das flapsige Urteil: 1:0 für Gott. Ijob wankt nicht.
Aber so schnell gibt der Satan nicht auf. Am Ende gilt es doch für jeden Menschen nur, die eigene Haut zu retten. Ijob kann auf alles so gelassen reagieren, weil ihm selbst nichts zustößt. So geht es in Runde 2 der Auseinandersetzung: Gott gibt Ijob in die Hand des Satans. Alles darf er mit ihm machen, nur das Leben muss er ihm lassen. Geschwüre und Krankheiten suchen nun den armen Ijob heim. Aber seiner Frau, die ihn auffordert, jetzt Gott zu verfluchen und zu sterben, antwortet er nur: „Nehmen wir das Gute an von Gott, sollen wird dann nicht auch das Böse annehmen?“ Und er sündigt nicht.
Ist Ijob eine historische Person? Eli Wiesel, jüdischer Schriftsteller, Philosoph und Überlebender des Holocaust, hat die treffende Pointe formuliert: „Die einen sagen, Hiob hat sehr wohl gelebt, nur sein Leiden ist eine rein literarische Erfindung. Dem halten andere entgegen: Hiob hat niemals gelebt, aber er hat sehr wohl gelitten.“ Er hat alles Reden über Ijob auf den entscheidenden Punkt geführt: Der Mensch in seiner Auseinandersetzung mit dem Leid.
Ijob, der Dulder – in der Erzählung der ersten Kapitel erscheint uns ein erstaunlich fester Glaube, der alles hinnimmt, was Gott ihm antut. Diese Vorstellung ist unerträglich für viele Menschen, die angesichts von Leid und Krankheit in der Familie oder im eigenen Leben zu verzweifeln drohen. So einfach ist es aber nicht. Erscheint Ijob in der Rahmenerzählung duldsam und schicksalsergeben, so wandelt sich im zweiten Teil seine Persönlichkeit. Freunde kommen und überschütten ihn mit klugen Sprüchen, die das Leid erklären und rechtfertigen wollen. Sie suchen die Schuld für das, was geschehen ist, bei Ijob. Irgendwas muss er verbrochen haben, dass Gott so zuschlägt. Aber Ijob wehrt sich: Er hat niemals gesündigt und Gott herausgefordert. Vor uns erscheint nicht mehr der blasse Dulder, sondern der verzweifelte Mensch, der die Worte der heutigen Lesung spricht:
So wurden Monde voll Enttäuschung mein Erbe und Nächte voller Mühsal teilte man mir zu. 4 Lege ich mich nieder, sage ich: Wann darf ich aufstehn? Wird es Abend, bin ich gesättigt mit Unrast, bis es dämmert. Schneller als das Weberschiffchen eilen meine Tage, sie gehen zu Ende, ohne Hoffnung. 7 Denk daran, dass mein Leben nur ein Hauch ist! Nie mehr schaut mein Auge Glück.“
Hier spricht kein Dulder, den nichts anficht. Aus Ijobs Worten sprechen tiefe Not und noch tiefere Verunsicherung. Sein Weltbild ist zusammengebrochen, sein Glaube an Gott stark erschüttert. Die Fragen sind nicht philosophisch, sondern teilweise trotzige Anklagen an Gott: Verantwortlich für die Verfasstheit des Menschen allgemein und Ijobs persönliches Unglück im Speziellen ist der Schöpfergott selbst. Wut ist der Grundton in Ijobs späteren Reden. Die Verärgerung überträgt sich auf die Leser aller Zeiten: Sind wir nur der Einsatz einer Wette zwischen dem Schöpfergott und seinem Knecht, dem Satan? Ist Gott dann wirklich noch der „Vater von Ewigkeit“ oder nicht ein grausamer Dämon, der mit uns spielt? Diese Frage gehört zum festen Repertoire in der Suche nach Sinn in einer Welt, in der das Leben des Menschen zu oft Spielball von grausamen Zufällen und Schicksalsfügungen wird.
Das Buch Hiob gehört zu den grandiosen Beiträgen, die die Bibel zur Weltliteratur beigetragen hat. Es geht um nicht weniger als um den Zusammenbruch aller Werte, Ordnungen und Glaubensüberzeugungen, die einem Menschen bisher Halt im Leben gegeben haben, und die Sehnsucht, auch weiterhin an Gott glauben zu können, auch wenn das unmöglich erscheint. Das Buch Ijob will Gott nicht rechtfertigen angesichts des Leids. Es fragt nicht nach dem Recht Gottes, das Böse zuzulassen, sondern danach wie der Mensch bestehen kann angesichts des Leids. Letztlich stellt es die entscheidende Frage der Religion in den Raum: „Was ist ein Glaube wert, der nicht auch Opfer kostet?“
Ludger Schwienhorst-Schönberger, Professor für Altes Testament an der Universität Wien hat vor einigen Jahren einen großen und bedeutenden Kommentar zum Buch Ijob geschrieben hat und ihn unter das Leitthema „der Weg durch das Leid“ gestellt. Er zeigt an der biblischen Lektüre zwei mögliche Modelle des Verhaltens im Leid auf: „Das eine Modell versucht durch Gebet und Handeln (u.a. Opfer und rechtes Verhalten) auf Gott einzuwirken, um ihn zu bewegen, einzugreifen und aus der Not zu retten. Dieses Modell setzt auf eine Wandlung in Gott. Ein zweites Modell setzt umgekehrt auf eine Wandlung im Leidenden… Der Mensch soll zur Einsicht geführt werden, die über das, was ihm bisher als plausibel erscheint, hinausgeht.“ (Bibel und Kirche 3/2020 S. 147)
Nachdem Ijob die überheblichen Belehrungen der Freunde abgeschmettert hat, tritt nun Gott selbst in den Ring, um sich gegen die Anklagen des Ijob zu verteidigen. Gott fährt gewaltige Zeichen auf, um Ijob wieder ins Lot zu bringen. Als er am Gottesberg Horeb seinem widerspenstigen Propheten Elija gegenübertritt, geschieht das nicht im Sturm, im Erdbeben oder im Feuer, sondern im leisen Säuseln des Windes, um dem Eiferer Elija eine neue Sicht auf Gott zu eröffnen. Ijob aber erscheint Gott im Wettersturm und stellt gleich zu Beginn in seiner Rede da, wer Gott und wer Ijob ist: „ Wer ist es, der den Ratschluss verdunkelt mit Gerede ohne Einsicht? 3 Auf, gürte deine Lenden wie ein Mann: Ich will dich fragen, du belehre mich! 4 Wo warst du, als ich die Erde gegründet? Sag es denn, wenn du Bescheid weißt! 5 Wer setzte ihre Maße? Du weißt es ja.“ (38,2-4). Dann nimmt Gott den Ijob mit auf eine faszinierende Reise durch die Schöpfung in poetischen Worten und ausdrucksstarken Bildern, in denen seine Größe und Überlegenheit strahlt, so dass Ijob am Ende gestehen muss: „Fürwahr, ich habe geredet, ohne zu verstehen, über Dinge, die zu wunderbar für mich und unbegreiflich sind…Darum widerrufe ich. Ich bereue in Staub und Asche.“ (42,4.6)
Scheinbar hat Gott den Ijob zum Schweigen gebracht, aber viele Exegeten sehen in der Herausforderung Ijobs einen Sieg über Gott, der am Ende dem Ijob mehr erstatten wird als er zuvor hatte. Ich möchte in den Worte des Ijob eher die Wandlung erkenne, die Ludger Schwienhorst-Schönberger als zweites Modell vorgestellt hat.
Auch als glaubende Menschen sind wir nicht frei von der Versuchung, Gott beeinflussen zu wollen. Es ist eine menschlich nachvollziehbare Forderung, dass Gott den Gerechten belohnen soll. Aber letztlich würden wir ihn dann auf einen Götzen reduzieren, der manipulierbar ist. Wenn ich Gott Frömmigkeit schenke, dann muss Gott sich revanchieren und mir Gutes tun. Das ist kein Glaube, sondern ein Geschäft. Tatsächlich bekommt der Glaube seinen Wert erst, weil er uns auch Überwindung und Treue kostet, wo sie uns nicht leichtfallen. In den Gottesreden geht Ijob einen anderen Weg: Er rebelliert nicht einfach gegen Gott, er lernt ihn kennen. „Ijob wird vom Glauben zum Schauen geführt.“ Auf dem Höhepunkt seiner Not wird Ijob die berühmten Worte sprechen: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt. Als Letzter erhebt er sich über dem Staub. Ohne meine Haut, die so zerfetzte, und ohne mein Fleisch werde ich Gott schauen!“ (19,25f) Tatsächlich wird er Gott schauen mit eigenen Augen, 140 Jahre vor seinem Tod (42,16). Was dem Ijob gelingt in seiner Auseinandersetzung mit dem Leid, im Annehmen und im Ringen, ist ein neues Bewusstsein für die Wirklichkeit: Gott ist der Erlöser. Er kann mit ihm reden, ihn schauen, mit ihm ringen und sich von ihm verändern lassen, nicht erst im Tod, sondern gerade in der Krise des Leids. Ijob fordert von Gott nichts zurück, auch wenn er überreicht bedacht wird. Seine Lebenszuversicht, die ihn aus der Verzweiflung reißt, in der wir ihm heute in der Lesung begegnen, gründet in der Gewissheit, dass Gott sich zeigt, dass er spricht und Antwort gibt und so das Leid nicht mehr ganz so sinnlos ist.
Wir werden Gott nicht ändern durch unsere Bittgebete, aber wir haben gerade in der existentiellen Krise die Chance, durch unsere Nachdenken, Beten und Ringen mit Gott in einen tieferen und persönlicheren Kontakt zu kommen als je zuvor und mit Gewissheit zu sagen: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt.“ Amen
(Sven Johannsen, Pfr.)