Predigt 29. Sonntag im Jahreskreis A „Kirche und Staat – getrennt und doch vereint“

Liebe Schwestern und Brüder

vor der Wahl zum bayerischen Landtag habe ich wieder den sog. Wahl-O-Mat befragt. Sie kennen sicher dieses Informationsangebot der Bundeszentrale für politische Bildung, das seit mehr als 20 Jahren für die Wahlen zum Bundestag und allen Landtagen zur Verfügung gestellt wird. In gut drei Dutzend Fragen zu aktuellen Themen werden die Positionen der Parteien, die sich um Mandate bewerben, verglichen.

Für die Wahl des bayerischen Landtags wählte man 38 Thesen aus, die sich um die ökologischer Landwirtschaft, Ladenöffnungszeiten, Schule,  Flüchtlingsfragen und vielen sozialen Initiativen drehten. Hat man alle Thesen bearbeitet, zugestimmt, abgelehnt oder neutral bewertet, kann man noch gewichten und bekommt dann schließlich eine Darstellung mit Prozentangaben, die Auskunft darüber geben, welche Parteiprogramme am besten zum eigenen Standpunkt passen. Das heißt nicht, dass das die Partei sein muss, die man wählt. Mitunter hat man ja auch grundsätzliche Vorbehalte gegen eine Partei. Aber man gewinnt einen Einblick, wo die eigenen Positionen sich am stärksten berücksichtigt finden. Ich lande regelmäßig bei einer Kleinstpartei, die zwar eine lange Geschichte in Bayern vorweisen kann, aber seit 1952 nicht mehr im Bundestag und seit 1966 nicht mehr im Bayerischen Landtag vertreten ist und heute regelmäßig bei Wahlen unter 1% fällt. Schon aufgrund ihrer separatistischen Tendenzen würde ich diese Partei nicht wählen. Aber wen soll man denn als Christ wählen? Es gab Zeiten, in denen haben uns die Bischöfe gesagt, wen man nicht wählen darf, weil sie „kirchenfeindlich“ agierten. Damit war klar, bei welcher Partei man als Christ sein Kreuz richtig setzte. Aber irgendwie ist das heute schwieriger geworden.

Parteien vertreten einerseits Positionen, die man aus christlicher Sicht voll unterstützen kann, andererseits aber wieder auch Programme, die schwere Gewissenskonflikte auslösen können. Kann ich eine Partei wählen, die aktiv für die Bewahrung der Schöpfung eintritt, aber gleichzeitig den Lebensschutz sehr liberal auslegt. Ähnlich kann man wohl bei allen politischen Parteien fragen. Christliche Werte konkurrieren in den Programmen der politischen Akteure miteinander: Nächstenliebe, Bewahrung der Schöpfung, Einmaligkeit des Lebens, Einsatz für Arme und Schwache, Schutz der Fremden und Gastfreundschaft gegenüber Menschen auf der Flucht. Ich weiß im Augenblick keinen politischen Akteur, der Gewicht hat und alle Positionen vereint. Was also tun? Sollten wir Christen uns nicht aus der Politik raushalten und uns einfach verweigern?

Das widerspricht unserer Geschichte in der Demokratie. Viele Politiker, der Deutsche Konrad Adenauer, der Franzose Robert Schuman, der Italiener Alcide de Gasperis, die Europa aufgebaut haben, haben Wurzeln im christlichen Glauben, die tief reichen und sie ein ganzes Leben lang geprägt und angetrieben haben. Auch heute haben wir Politikerinnen und Politiker, die aus christlichem Geist heraus handeln. Ich erinnere an die verstorbene Landtagspräsidentin Barbara Stamm. Mit einer Abwendung von der Politik würde wir auch deren Leistung in Frage stellen.
Andererseits widerspricht eine ablehnende Haltung dem, was „Politik“ will und unserem biblischen Auftrag. „Politik“ ist nicht zuerst Parteipolitik, die auch im Dienst von bestimmten Interessen steht, sondern bezeichnet in seiner griechischen Ursprungsbedeutung alle Tätigkeiten, Gegenstände und Fragen, die eine Gemeinschaft / ein Gemeinwesen betreffen. Auch die Schaffung von Kindergärten und Altenheimen ist Politik, weil sie Zielgruppen in einer Gemeinschaft betreffen. Zum anderen haben die Menschen, die an unseren Gott glauben, sich nie losgelöst von der Welt verstanden. Der Prophet Jeremia fordert die Israeliten, die nach Babylon ins Exil verschleppt wurden, auf: „Suchet das Wohl der Stadt, in die ich euch weggeführt habe, und betet für sie zum HERRN; denn in ihrem Wohl liegt euer Wohl!“ (Jeremia 29.7). Der Apostel Paulus konnte sogar so weit gehen, dass er die missgedeutete Formel wagte: „Jeder leiste den Trägern der staatlichen Gewalt den schuldigen Gehorsam. Denn es gibt keine staatliche Gewalt, die nicht von Gott stammt; jede ist von Gott eingesetzt.“ (Röm 13,1)

Selbst in den Zeiten des frühen Christentums, in denen das Bekenntnis zu Jesus Christus dazu führte, dass die Getauften zu Außenseiter der Gesellschaft wurden und in einigen Epochen mit dem Martyrium ihren Glauben besiegeln musste, stand die Bejahung der staatlichen Ordnung nie in Frage. Der christliche Glaube war keine außerparlamentarische Opposition oder eine weltfremde Sekte. Immer stand der Einsatz für Menschen in Not, unabhängig davon, ob sie getauft waren oder nicht, ganz oben auf der Agenda. Selbst in den Zeiten, in denen eine breite Öffentlichkeit im  römischen Reich Christen für Anhänger eines gefährlichen Aberglaubens hielte, profitierten Alte, Kranke, Sterbende und auch Trauernde von der Hilfe der Jüngerinnen und Jünger Jesu, die sie auch gerne geleistet haben. Sie waren also immer auch in die „Politik“ eingebunden. Mit der Konstantinischen Wende änderte sich vieles. Immer mehr übernahmen Bischöfe und Priester hohe Ämter im Staat und für Beamte war die Zugehörigkeit zur Kirche Voraussetzung für ihren Aufstieg. Jahrhunderte lang schienen Thron und Altar untrennbar miteinander verbunden. Aber in diesen Zeiten der Quasi-Verschmelzung gab es auch Christen, die Wüstenväter, Benedikt, Franziskus und Clara, die einen Gegenentwurf darstellten zu einem kirchlichen „Staatsdienertum“. Sie zeigten, dass der Glaube in der Nachfolge Jesu auch Unabhängigkeit von staatlichen Normen garantierte.

In den Worten Jesu im heutigen Evangelium erkenne ich keinen Widerstand gegen die Politik und Abwertung des weltlichen Lebens, aber auch keinen Auftrag, in der Welt aufzugehen. Jesus schlägt letztlich einen Mittelweg vor, der eine grundsätzliche Unabhängigkeit des Glaubens gewährleistet.

Das Evangelium stellt eine Steigerung zu den letzten Sonntagen dar. Nach den Streitgesprächen und den Gleichnissen, in denen Jesus die religiösen Führer offen bloßstellte, folgt nun der Gegenschlag. Schon vor zehn Kapiteln berichtete Matthäus vom Beschluss, Jesus zu beseitigen. Jetzt wird das Vorhaben in die Tat umgesetzt.  Jesus durchschaut die perfide Strategie, ihm eine Falle zu stellen. Mit einem vergifteten Lob soll er in Versuchung geführt werden, eine unbedachte Äußerung von sich zu geben. Legitimiert er die Steuerzahlung, dann bringt er das Volk gegen sich auf, das unter dieser Last leidet. In diesem Fall hätten die religiösen Führer leichtes Spiel, ihn aus dem Weg zu räumen. Spricht er der Steuer die Rechtmäßigkeit ab, wird er zum politischen Aufrührer, den die Römer entsorgen müssen. Dass es sich nicht um ein wirklich drängendes Problem handelt, macht die Reaktion der Gegner deutlich, die auf die Bitte Jesu, ihm die Münze zu zeigen, sofort ein Geldstück zur Hand haben. Ganz offensichtlich haben sie kein Problem damit, eine römische Münze im Tempel des Herrn mit sich zu tragen. Damit entsprechen sie der Haltung der meisten Juden ihrer Zeit. Die Antwort Jesu blamiert sie: Er trennt streng zwischen Welt und Gott, dem Geld des Kaisers und der Pflicht der Frömmigkeit. Außer der Bewunderung über einen  glänzenden Sieg Jesu über die Gegner kommt damit die Frage auf, ob er nicht eine grundsätzliche Trennung zwischen weltlichem und göttlichem Bereich will? Müssen wir als Christen nicht alles Profane geringachten und zugunsten der Verehrung Gottes an den Rand drängen?

Moderne Demokratien sind stolz darauf, dass Staat und Kirche getrennt sind. Das ist für beide Seiten ein Segen. Wir erleben im Augenblick in Russland, welche unheilvolle Allianz Thron und Altar eingehen, wenn der Patriarch von Moskau sich in der Pflicht sieht, Propaganda für einen Kriegstreiber zu machen. Die Glaubwürdigkeit gerät völlig ins Wanken. Andererseits bedeutet in unserem Land die Trennung von Staat und Kirche nicht, dass wir in einer laizistischen Gesellschaft leben wie in Frankreich. Bei aller theoretischen Unabhängigkeit sind Kirche und Staat in vielen Bereichen erfolgreiche Partner und auch aufeinander angewiesen. Im sozialen Bereich sind die Werke der Caritas und der Diakonie bevorzugte Wohlfahrtsverbände, die für die Regierung wichtige Aufgaben übernehmen in Sozialstationen, Krankenhäusern, Behinderteneinrichtungen, Alten- und Pflegeheimen und Kindergärten. Finanziell gibt es eine große Abhängigkeit vom Staat, der die Kirchensteuer einzieht und noch immer zu Leistungen verpflichtet ist. Christliche Politiker haben unser Land stark geprägt. Die soziale Marktwirtschaft ruht auf den Fundamenten der katholischen Soziallehre. Gerade in unseren Tagen zeigt sich auch immer stärker, wie wichtig es ist, dass auch die Kirche Verantwortung gegenüber staatlichen Stellen übernehmen muss, wenn es um Verbrechen in ihren Reihen geht. Ich plädiere sehr dafür, dass die Aufklärung von Vorwürfen des Missbrauchs gänzlichen in den Händen der Justiz liegt und auch dort die Untersuchungen allein verortet sind.

Wir leben als Menschen in der Welt. Sie ist mehr als ein Jammertal, das wir durchschreiten müssen wie eine Wartehalle vor dem Himmelstor. Die Welt und das Leben auf ihr ist Gottes Geschenk. Wir können ihn ohne Achtung vor der Schöpfung niemals richtig verehren. Es ist sein Auftrag an uns, in der Welt zu leben und sie so zu gestalten, dass alles Leben geachtet und wertgeschätzt wird. Wir sind nicht auf der einen Seite Bürger und getrennt davon Gläubige. Unser Glaube durchdringt unser Leben in der Welt. Es gibt Werte wie den Schutz des Lebens vor der Geburt, an seinem Ende, aber auch in allen Erfahrungen des Leidens und der Schwäche, für die gilt es unerschrocken einzutreten, auch wenn wir uns damit in der öffentlichen Diskussion zu Außenseitern machen. Das Evangelium Jesu, das uns mahnt, Gott nicht im Alltag und in unserem Leben in der Welt zu vergessen, mahnt zu einer gesunden Balance. Wir können nicht verklärt durch die Welt gehen und uns nicht interessieren für das, was hier geschieht, weil wir nur noch auf das Himmelreich fixiert sind. Wir können aber auch nicht unseren Glauben außen vorlassen, wenn es darum geht Position zu beziehen zu Fragen in unserer Gesellschaft. Wenn wir Gott nur noch am Sonntag zu Wort kommen lassen, dann erfüllen wir den Auftrag Jesu „gebt Gott, was Gott gehört“ nicht. Wir brauchen m.E. mehr Christen,  die sich auf allen Ebenen, von Hilfsgruppen, Bürgerinitiativen über  Gemeinde- und Stadtrat bis zur Bundespolitik, einbringen, einmischen und Verantwortung übernehmen.  Dann wird die Politik sicher nicht christlich, aber sie wird aus christlicher Verantwortung gestaltet. Auch damit geben wir Gott, was ihm gehört. In einer Zeit der Politikverdrossenheit empfinde ich es daher auch für wichtig, denen zu danken, die in diesem Sinne in der Politik als Mandatsträger handeln. Amen.                                                                                                                                                                                                                               Sven Johannsen, Pfarrer

29_Kirche_und_Staat_2023