Zum Tod eines 14jährigen durch eine Gewalttat in unserer Stadt – Stellungnahme Pfarrer Johannsen

Und plötzlich geschieht das Böse mitten unter uns …

Wir können noch nichts Endgültiges sagen über das, was am Freitag auf dem Gelände unseres Schulzentrums geschehen ist und wissen noch nichts über Motive und Abläufe der Tat, aber wir müssen davon ausgehen, dass ein junger Mensch durch die Gewalttat eines Gleichaltrigen ums Leben gekommen ist.

Jeder Tod, der vor der Zeit eintritt, entsetzt uns, aber wenn ein junger Mensch auf diese Weise die Zukunft genommen bekommt, dann brechen die Ohnmacht und die Nacht der Trauer noch bitterer über uns herein.

Wir wissen, dass auch Kinder und Jugendliche nicht vor tödlichen Krankheiten geschützt sind. Es sind seltene Nachrichten, die uns daran erinnern, dass Krebs und andere Krankheiten kein Alter kennen. Jetzt aber stehen wir in noch größerem Maße hilflos der Situation gegenüber, weil wahrscheinlich das Verschulden eines anderen Jugendlichen diesen Tod verursacht hat. Vielen geht es so, wie es Heribert Prantl in einem Beitrag für die SZ nach dem gewaltsamen Tod eines Mädchen in Freudenberg im Frühjahr beschrieben hat: „Man hört, man liest, man ist erst einmal stumm vor Entsetzen. Es ist unvorstellbar. Aber es ist geschehen.“ Eine ähnliche Tragödie hat sich in diesem Jahr in Wunsiedel wiederholt und nun hier in unserer Stadt. In solchen Momenten hält eine Gesellschaft innen, erschrickt und trauert mit den Familien. Wir haben uns an den Tod in allen Variationen der Grausamkeit und des Erschreckens gewöhnt. Wir sehen die Bilder aus der Ukraine. Wir hören vom Amoklauf an US-Schulen und nehmen Anteil an der Trauer der Menschen in Marokko. Aber wirklich tief treffen können uns viele Nachrichten kaum mehr, wenn wir nicht völlig verzweifeln wollen. Vielmehr müssen wir mit dieser offenen Todeswunde der Menschheit, die sie sich zum Teil auch selbst zugefügt hat, lernen zu leben. Dann aber halten wir inne, weil uns das Schicksal eines jungen Menschen in besonderer Weise ins Herz trifft, sprachlos macht und fragen lässt: „Wie kann so etwas geschehen?“

Jetzt ist es hier geschehen in unserer kleinen Stadt, die mit Romantik und märchenhafter Idylle wirbt. Der Tatort ist das Gelände einer Schule, die von vielen unserer Kinder und Enkel ab Dienstag wieder besucht wird. Das Opfer ein Jugendlicher aus einem Dorf im Spessart, in dem noch immer bald jeder jeden kennt und man stolz ist auf Zusammenhalt und Vereinsleben. Das Unvorstellbare wird mitten unter uns Wirklichkeit. Haben wir uns die ganze Zeit selbst betrogen und uns eine heile Welt vorgegaukelt, die es gar nicht mehr gibt, auch bei uns nicht?

Viele hängen dem Vorurteil nach, dass es solche Taten früher nicht gab und die Welt besser war. Das glaube ich nicht. Die Nachrichten haben uns nur nicht so schnell erreicht und wir waren nicht so umfassend informiert, wie es die Medien heute leisten. Gewalttaten gibt es seit den Tagen von Kain und Abel, seit dem Anfang der Menschheitsgeschichte, und sie werden uns auch weiterhin erschüttern. Schon in der folgenden Woche kann die nächste Schlagzeile uns an einen anderen Ort führen, an dem Schreckliches geschehen ist. Wir haben mit dem Anfang des Menschseins uns die Gewalt in vielen Formen und aus vielen Gründen zum Begleiter gemacht und die Hoffnung ist schwach, dass sich unsere Wege je trennen werden. Aber in dieser konkreten Situation hilft uns diese bittere Wahrheit nicht wirklich weiter. Wie können wir je wieder in unseren Alltag zurückkehren, Feste feiern und uns über die Gemeinschaft freuen, wenn so etwas geschehen ist.

Ganz sicher werden die Schatten sich weit ausstrecken. Dennoch werden das Dorf und die Stadt nach einer Zeit der Trauer sehr schnell zu ihrem gewohnten Leben zurückkehren. Ist das der Tanz auf dem Vulkan einer Gesellschaft, die wegschaut und nicht wahrhaben will, wie nah sie am Abgrund steht?

Es hilft uns nicht, darauf zu verweisen, dass es sich um eine Ausnahmesituation handelt. Dazu geschieht es jetzt zu häufig in unserem Land: Freudenberg, Wunsiedel und Lohr. Und hier wird es nicht enden. Immer wieder neu werden wir mit erschreckenden Nachrichten konfrontiert werden.

Wichtiger erscheint es mir wahrzunehmen, dass wir nicht völlig ohnmächtig der Gewalt gegenüberstehen. In unseren Schulen ist das Thema Gewaltprävention ein fester Bestandteil geworden. Über soziale Medien, Gespräche und Vorträge werden Kinder und Jugendlichen sensibilisiert für Grenzen im Umgang miteinander und für eine Kontrolle von Aggressionen. Strengere Regelungen und Altersbeschränkungen bei Filmen und Computerspielen werden uns kaum nützen angesichts einer so weit fortgeschrittenen Vernetzung in unserer Zeit. Kinder und Jugendliche stark machen in einer Welt voller guten und schlechten Möglichkeiten, kann m.E. allein helfen, einer Eskalation von Gewalt vorzubeugen.

 

Es ist auch an uns Erwachsenen und unserer Sprache über andere, einer inneren Verrohung von Kindern und Jugendlichen entgegenzuwirken. Wenn wir bei aller Verschiedenheit der Meinung keinen Respekt mehr vor dem Leben und der Würde einer Person erkennen lassen, wird sich das auf das Denken der jüngeren Generationen auswirken. Auch wenn ich nicht einverstanden bin mit dem, was ein anderer Mensch tut oder denkt, habe ich seine Würde als Person, die Gott ihm einmalig und unverwechselbar gegeben hat, zu respektieren und diese Haltung auch erkennen zu lassen.

 

Es herrscht neben dem Entsetzen viel Wut in unserer Stadt. U.a. werfen Jugendliche uns Erwachsenen vor, solche Entwicklungen zu befördern, weil sie keinen Raum haben, sich hier zu entfalten, und nicht gehört werden mit ihren Anliegen. An dieser Stelle ist nicht der Platz, zu erörtern, ob das so stimmt oder nicht. Aber in jedem Fall müssen wir uns verstärkt Gedanken machen, ob wir einander noch im Blick haben und jedem den Raum bieten, seine Zukunft zu gestalten und nicht perspektivlos zu werden. In diesem Ereignis werden wir niemals Sinn entdecken, aber möglicherweise bringt es uns zum Nachdenken darüber, wie wir solidarisch sein und jungen Menschen helfen können, ein Leben nach ihren Vorstellungen und Hoffnungen zu entwickeln. Junge Menschen, die Chancen für sich sehen, werden geschützter sein vor manchen Handlungen als diejenigen, welche ihre eigene Zukunft schon abgeschrieben haben. Kinder und Jugendliche stark machen für die Zukunft, für solche Ideen standen große Denker der christlichen Soziallehre wie Adolf Kolping.

 

Ich bin mir völlig bewusst, dass es nicht der Zeitpunkt ist von Vergebung und Nachsicht zu reden, aber dennoch gilt in diesem kritischen Moment das Gebot der Gerechtigkeit auch gegenüber dem Jugendlichen, der unter Verdacht steht. Auch in einer so emotional aufgeladenen Situation steht ihm das Recht auf ein Verfahren ohder Vorverurteilung. Die Pflicht und das Recht zur Aufklärung liegt bei der Polizei. Die Pflicht und das Recht zum Urteilen liegt bei der Justiz. Ich kann gut verstehen, dass viele Menschen möglichst schnell Klarheit haben wollen, aber es ist nicht die Zeit von Vermutungen, Gerüchten und Halbwahrheiten. Unser Teil ist die Trauer mit der Familie, das Entsetzen, dass so etwas in unserer Mitte geschehen konnte, die Solidarität mit den trauernden Angehörigen und unser Gebet für alle, die von diesem furchtbaren Geschehnis betroffen sind.

Gott konnte die Gewalt nicht verhindern, aber er kann verhindern, dass der Tod den endgültigen Sieg behält. Unsere Hoffnung streckt sich danach aus, dass alles, was an Zukunft durch diesen Tod geraubt wurde, in der Vollendung durch Gott seine Fülle findet.

 

Unser Bischof ist mit uns im Gebet vereint. Er hat am Samstagvormittag angerufen und mir seine Solidarität mit allen versichert, die jetzt betroffen sind und allen Menschen in unseren Gemeinden, die von Sorge und Trauer erfüllt sind. Den Angehörigen gilt unser tiefstes Bedauern, allen Betroffenen versichern wir unser Gebet und bekennen uns als Christen dazu, dass wir auch in der dunkelsten Nach Hoffnung auf Zukunft haben dürfen. Amen Sven Johannsen, Pfarrer

Tod_Jugendlicher_in_Rechtenbach.pdf